von Karl-Heinz Drescher, Leipzig
Mörderische Diplomaten, unter diesem Titel erschien in der Süddeutschen Zeitung Nr. 251, vom 28. Oktober 2008, eine Rezension zu dem Buch "Braune Diplomaten". Autor des Buches ist Sebastian Weitkamp, geboren 1973, ein deutscher Historiker.
Im Mittelpunkt steht die Frage der Mitverantwortung des Reichsaußenministeriums
/ Auswärtiges Amt am Holocaust.
Lange hielt sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Legende, das Auswärtige
Amt (AA) sei während der NS-Zeit ein Hort des Widerstandes gewesen. Für
seine Studie "Braune Diplomaten" hat sich der Autor die Biografien
und Karrieren zweier typischer Vertreter der jungen NS-Diplomatengarde, Horst
Wagner und Eberhard von Thadden, vorgenommen und damit einen wichtigen Beitrag
zur Aufklärung über die NS-belastete Geschichte des AA veröffentlicht.
Zu dem Beitrag in der Zeitung, sozusagen als optischen Mittelpunkt, wird ein
Farbfoto von Krummhübel mit dem Hotel "Goldener Frieden" im Vordergrund
und der Schneekoppe im Hintergrund veröffentlicht.
Heimatfreundin Marianne Bertram, die langjährige Heimatbetreuerin von Steinseiffen,
hat mir freundlicherweise diesen Zeitungsausschnitt zugesandt, gleichzeitig
mit der Bitte um Aufklärung.
Welche Gemeinsamkeiten verbinden nun Farbfoto, Auswärtiges Amt und Holocaust?
Die "Antijüdische Auslandsaktion" unterstand Horst Wagner, dem
persönlichen Verbindungsmann zwischen Außenminister Joachim von Ribbentrop
und SS-Chef Himmler; der schon erwähnte "Judenreferent" des AA,
Eberhard von Thadden, war Wagners Stellvertreter. Im Januar 1944 schlug Wagner
eine Konferenz vor, an der sowohl Vertreter der Auslandsmissionen, wie auch
die "Arisierungsberater" der SS in den besetzten Ländern Europas
teilnehmen sollten. Ziel war es, Absprachen zur weiteren "Judenpolitik"
und deren propagandistische Absicherung zu treffen.
Ribbentrop und Himmler stimmten zu. Wegen der alliierten Bombenangriffe auf
Berlin wünschte der "Reichsführer SS" allerdings, die Tagung
außerhalb der Hauptstadt abzuhalten, ihn plagte die Sorge, dass bei einem
"Unglücksfall" nicht alle Spezialisten gleichzeitig verlorengehen".
Also wurde das auf Anfang April 1944 anberaumte Treffen ins Ausweichquartier
des AA nach Krummhübel im Riesengebirge verlegt.
Die SS allerdings konnte ihre wichtigsten Leute wegen dringender Geschäfte
nicht schicken. Adolf Eichmann, der Hauptorganisator des Holocaust in Himmlers
SS-Imperium, hatte zwar schon telefonisch zugesagt, aber er und seine "Arisierungsberater"
waren im Frühjahr 1944 voll und ganz mit den gerade anlaufenden Deportationen
der ungarischen Juden nach Auschwitz beschäftigt.
Die Konferenz der "Judenreferenten" aus ganz Europa wurde damit praktisch
zu einer internen Veranstaltung des Auswärtigen Amtes. Trotz der Absage
der SS liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren weiter. Eine Mitarbeiterin der
kulturpolitischen Abteilung, Missie Wassiltschikow, welche bereits in Krummhübel
tätig war, notierte: "Freitag, 31. März: Fieberhafte Tätigkeit
in der ganzen Abteilung. Anlässlich dieses wichtigen Ereignisses ist plötzlich
sogar wieder Kohle herbeigezaubert worden; unsere Baracken sind praktisch zum
ersten Mal in diesem Winter geheizt. Man könnte glauben, der Papst käme."
Am 03. April 1944 begann die Konferenz von Krummhübel in dem requirierten
Skihotel "Sanssouci".
Von den Wänden grüßten antisemitische Plakate die Teilnehmer,
Broschüren ähnlichen Inhalts lagen aus. Außer den Vertretern
der Berliner AA-Zentrale waren Diplomaten aus den Auslandsmissionen in Dänemark,
Frankreich, Italien, Kroatien, Schweden, Türkei, Schweiz, Rumänien,
Slowakei, Spanien und Portugal angereist, insgesamt rund 30 Teilnehmer. Aus
Himmlers Imperium kamen lediglich zwei Vertreter des Reichssicherheitshauptamtes
und der Polizei-Attaché aus Sofia, ein hauptamtlicher SS-Führer.
Da es an den Botschaften formal noch keine "Judenreferenten" gab,
waren meist Kulturattachés erschienen, in deren Aufgabengebiet die "Judenpolitik"
in der Regel fiel. Gleichwohl wurde das Treffen amtsintern immer als "Arbeitstagung
der Judenreferenten" bezeichnet.
Professor Franz Alfred Six hielt den Eröffnungsvortrag über die "politische
Struktur des Weltjudentums". Der SS-Oberführer hatte im "Reichssicherheitshauptamt"
die "Weltanschauliche Forschung" geleitet und war im April 1943 zum
Leiter der kulturpolitischen Abteilung im AA ernannt worden. Six erklärte
den Anwesenden, der "Kraftquell" des gesamten europäischen Judentums
läge im Osten. Damit sei es nun vorbei, denn "die physische Beseitigung
des Ostjudentums entziehe dem Judentum die biologischen Reserven". Dabei
wusste Six, wovon er sprach, als SS-Führer an der Ostfront hatte er im
Sommer 1941 die Anfänge des Genozids an den Ostjuden vor Ort miterlebt.
Dann ergriff Eberhard von Thadden das Wort. Der 34-jährige war seit einem Jahr offizieller "Judenreferent" in der Zentrale des Auswärtigen Amtes und über die Vernichtungspolitik des NS-Regimes bestens im Bilde. Laut Protokoll sprach von Thadden über die "antijüdischen Exekutivmaßnahmen" in Europa und betonte dabei die Notwendigkeiten der "Aussiedlung der Juden in die Ostgebiete", eine kaum verhüllte Umschreibung für Deportation. Von den aus ganz Europa angereisten Beamten verlangte von Thadden, jegliche Propaganda zu unterdrücken, die die deutschen Maßnahmen gegen die Juden behinderte. Die Kollegen sollten in ihren Einsatzländern vielmehr um Verständnis für die Judenpolitik werben und Berlin unterrichten, wie "verschärfte Maßnahmen gegen das Judentum" durchgeführt werden könnten.