Veröffentlicht in der "Schlesischen Bergwacht", April 2009.
Eingereicht von Herrn Karl-Heinz Drescher

Krummhübel vor 65 Jahren

von Karl-Heinz Drescher, Leipzig

– Fortsetzung –

Nach zwei Tagen Vergatterung reisten die Referenten aus dem Riesengebirge zurück an ihre Dienstorte, im Gepäck den klaren Auftrag, die "Judenpolitik" des Nationalsozialismus mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Was das hieß, konnte kaum einem der Anwesenden verborgen geblieben sein. Gruppenleiter Horst Wagner jedenfalls wertete die Krummhübel-Konferenz im Sommer 1944 als "großen Erfolg", sein Chef Ribbentrop unterrichtete Hitler persönlich davon.

Auch wenn sich aufgrund des Kriegsverlaufes nur wenige konkrete Maßnahmen als Folge des Treffens nachweisen lassen, die Konferenz von Krummhübel bedeutete eine ganz und gar unzweideutige Willensbekundung des Auswärtigen Amts, die "Endlösung" mitzutragen und bei ihrer Umsetzung auf das Engste mit der SS zusammenzuarbeiten. Ist damals in Krummhübel wirklich offen über den Massenmord gesprochen worden? Die im Protokoll festgehaltenen Äußerungen von Alfred Six und anderen deuten darauf hin. Mindestens wurden die Vorgänge im Osten dort in einer Weise umschrieben, dass die Teilnehmer einen Massenmord an der jüdischen Bevölkerung annehmen mussten. Ausdrücklich ließ von Thadden Einzelheiten der von ihm beschriebenen "antijüdischen Exekutivmaßnahmen" aus Geheimhaltungsgründen nicht protokollieren.

Um nicht als Mitwisser der Vernichtung angeklagt zu werden, behaupteten nach dem Krieg fast alle Teilnehmer, Formulierungen wie "antijüdische Exekutivmaßnahmen" oder "physische Beseitigung des Ostjudentums" hätten keineswegs die Vernichtung der Juden gemeint. Andere leugneten, dass diese Ausdrücke überhaupt gefallen seien. Ribbentrop wollte während des Nürnberger Prozesses noch nicht einmal von der Tagung gewusst haben. Dass "Endlöser" Eichmann so kurzfristig abgesagt hatte, wurde für die Teilnehmer nachträglich zum Glücksfall, wäre er dabei gewesen, Historiker und Kriminalisten hätten sich die Vorgänge dort sehr viel genauer angeschaut. Krummhübel wäre in den Fokus der Weltgeschichte geraten.

So aber spielten die Beteiligten nach 1945 die Bedeutung von Krummhübel mit vereinten Kräften herunter. Für die einen war die Tagung eine reine "Lachnummer", andere behaupteten, es sei allein darum gegangen, das Propagandaministerium auszustechen. Die einzige Tagungsteilnehmerin erklärte, sie habe den Abend zuvor derart mit Six gezecht, dass sie sich an nichts Genaues mehr erinnern könne. Von Thadden behauptete, er selbst habe in Krummhübel nur die antijüdische Gesetzgebung referiert. Und Six Vortrag, so von Thadden, sei lediglich "weltanschauliche Soße" gewesen, die "über den Pudding einer solchen Tagung zwangsläufig gegossen werden musste".

Die kollektive Verleugnungstaktik hatte Erfolg. Nicht ein Beamter wurde nach dem Ende des "Dritten Reichs" zur Verantwortung gezogen. Einige der Tagungsteilnehmer konnten ihre Karrieren nach 1945 sogar fortsetzen. Der Abgesandte der Pariser Botschaft in Krummhübel, Peter Klassen, wurde schon 1952 wieder in den Auswärtigen Dienst aufgenommen. Er arbeitete später an den Missionen in London und Madrid und leitete zwischenzeitlich jahrelang das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes. Franz Alfred Six wurde Werbeberater bei Porsche und Unternehmensberater in Essen. In der nordrhein-westfälischen Wirtschaft fand auch von Thadden bis zu seinem Tode 1964 gut bezahlte Posten.

Das Ermittlungsverfahren gegen Horst Wagner verlief ergebnislos. Im Nürnberger "Wilhelmstraßen-Prozess", englisch "The Ministries Trial" ("Der Ministerien-Prozess"), trat er noch als Zeuge der Anklage auf. Angeklagt waren führende Angehörige des Auswärtigen Amts und anderer Ministerien, sowie weiterer nationalsozialistischer Dienststellen. Es war ein Mammutprozess, der sich vom 15. November 1947 bis zur Urteilsverkündung am 11. April 1949 hinzog. Danach musste Wagner aufgrund der erdrückenden Aktenlage selbst eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord erwarten, der er sich aber durch Flucht nach Südamerika entzog. Nach seiner Rückkehr schrieb er am 22. Oktober 1953 an den damaligen Bundestagspräsidenten Herrmann Ehlers: "Nach meiner Auffassung wird sich schwerlich ein lebender Mensch finden lassen, der so viele Menschen vor einem entsetzlichen Schicksal bewahrt hat, wie ich es getan habe oder es zumindest versucht habe".

Er hatte damals große Befürchtungen in ein Land abgeschoben zu werden, aus dem er die Deportation der Juden unterstützt hatte. Ein Gerichtsverfahren in Osteuropa hätte für ihn eine lange Haftstrafe, vielleicht auch den Tod bedeutet.

Erst 1972 kam es in Essen zum Prozess wegen Beihilfe zum Mord an über 300 000 Menschen. Es gelang ihm, das Gericht weitere fünf Jahre hinzuhalten, bis er 1977 starb.

Warum wurde ausgerechnet Krummhübel zum Ausweichquartier des Auswärtigen Amtes in Betracht gezogen. Seit Beginn der Flächenbombardements in und um Berlin, spätestens aber seit Anfang des Jahres 1943 gab es Evakuierungsgedanken. Das Riesengebirge galt allgemein als ein Luftschutzbunker des Reiches und es lag näher an Berlin als vielleicht Bayern oder ähnliche "sichere" Gebiete. Aufgrund des immer noch sehr hohen Personalbestandes des AA kamen im Riesengebirge nur Schreiberhau oder Krummhübel, mit dem inzwischen eingemeindeten Brückenberg, in Frage. Aus mir unbekannten Gründen entschied man sich letztendlich für Krummhübel.

In der Nacht vom 01. auf den 02. März 1943 flogen britische Bomber den bis dahin schwersten Luftangriff auf Berlin, bei dem ganze Stadtteile verwüstet wurden, so auch das Regierungsviertel um die Wilhelmstraße und das Diplomatenviertel am Tiergarten. Die Diplomaten suchten sich zunächst größere Schlösser in der Mark Brandenburg als Ersatz für ihre zerstörten oder beschädigten Berliner Häuser. Im Auswärtigen Amt (AA) musste man sich auch Gedanken über die Sicherheit des Diplomatischen Corps machen.

Noch katastrophaler war der Luftangriff am 23. November 1943, 12 000 Tonnen Bomben legten Berlin in Schutt und Asche. Die Verlagerung der Botschaften, aber auch die eigene Sicherheit, wurde dringlicher.

Volle fünf Tage wurde verhandelt, ob das gesamte Amt nach Krummhübel verlegt werden sollte. Vor dem Krieg gab es mit fast allen Staaten der Welt diplomatische Beziehungen. Jetzt nach Ausbruch des Krieges waren nur sieben neutrale Staaten übrig geblieben. Der Apparat von einigen tausend Beamten und Angestellten wurde jedoch aufrechterhalten. Und das in einer Zeit, wo jede wehrtüchtige Person an der Front gebraucht wurde.

Jetzt endlich geht ein Vorkommando von 300 Mann ins Riesengebirge, um in Krummhübel Quartiere vorzubereiten.

Als erstes wurde die Kultur-Politische Abteilung und das Referat "R", wie Russland, nach Krummhübel verlegt. Glücklich waren die Mitarbeiter darüber nicht. Trotz Bombenangriffe und mancherlei Einschränkungen bot Berlin immer noch mehr Komfort und Abwechslung, als es im entfernten Riesengebirge der Fall war.

Die Mitarbeiterin der Presseabteilung und Verantwortliche für das Bild-Archiv, Marie (Missie) Wassiltschikow, schildert ihre ersten Eindrücke in ihrem Tagebuch, welches später unter dem Titel "Die Berliner Tagebücher der Marie-Missie-Wassiltschikow 1940 – 1945" veröffentlicht wurden, folgendermaßen: "Das Dorf Krummhübel ist recht hübsch. Es liegt an einem steilen Hang, die Häuser stehen weit verstreut und sind von Gärten mit vielen Fichten umgeben. Meine Angst vor Luftangriffen ebbt langsam ab. Die Büros liegen alle am Fuße des Hanges (gemeint ist Posterholungsheim "Tannenhof" und AOK-Erholungsheim Lichtenberg, der Verfasser), und die meisten meiner Kollegen fahren zur Arbeit auf kleinen Schlitten, die sie abends wieder den Berg hinaufziehen. Eines habe ich schon festgestellt: Je bedeutender die Leute, desto weiter oben am Hang wohnen sie (gemeint ist Breitehau und Villenviertel, der Verfasser). Unsere Informationsabteilung ist offenbar zu kurz gekommen – wir sind die Nachzügler, und auch unsere Chalets sind weniger hübsch als die anderen".



Posterholungsheim "Tannenhof".
Sitzder Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes.




Erholungsheim "Lichtenberg".

Deutlicher bereits die nächste Einschätzung:
Anlässlich eines Treffens mit dem slowakischen Propagandaminister und Pressechef Tido Gaspar in Krummhübel kommt von Studnitz, Mitarbeiter der Presseabteilung im AA, nach 1945 konservativer Publizist, zu folgender Einschätzung:
"Krummhübel ist landschaftlich hübsch, die Pensionen und Hotels primitiv, die Bevölkerung fremdenfeindlich, zum mindesten gegen das Auswärtige Amt, in dem sie Ihren bösen Geist sieht. Da das Amt alle Herbergen beschlagnahmt hat, ohne sie zu benutzen, verdienen die Leute in der Saison kein Geld. Anderseits setzt das Ministerium für ausländische Diplomaten Häuser instand, die von dem Eigentümer an Fremde vermietet werden dürfen, wenn sie sich verpflichten, sie bei Bedarf dem Amt innerhalb von drei Tagen zur Verfügung zu stellen.
Das Riesengebirge ist eine typische KdF-Landschaft, sehr geeignet für die Ansprüche weniger verwöhnter Touristen.
Das Amt hat 500 Personen nach Krummhübel evakuiert. Der Ort zieht sich von der Talsohle bis zur Schneekoppe hinauf. Für den Verkehr zwischen den weit verstreuten Unterkünften stehen neben einer motorisierten Fahrbereitschaft 22 zweispännige Pferdefuhrwerke zur Verfügung. Die wie Chinesen aussehenden Kutscher sind Aserbaidschaner, die kein Deutsch können und von Pferden keine Ahnung haben. Da die Verständigung mit ihnen schwierig ist, werden jeweils drei Gespanne unter Führung eines deutschen Polizeiwachtmeisters in Bewegung gesetzt, der seine aserbaidschanische Gefolgschaft mit Befehlen, wie "Marsch" und "Halt" dirigiert.

Das brauchbarste Objekt im Ort ist ein kleines für Schmidt organisiertes Holzhaus in dem es sich aushalten lässt. Von höheren Beamten residieren in Krummhübel Staatssekretär Keppler und Generalkonsul Wüster, der als Platzkommandant fungiert, sowie eine Reihe älterer Generalkonsuln und Geheimräte".

(Zur Verständigung: mit "Schmidt" ist Dr. Paul, Leiter der Presseabteilung gemeint. Bei dem Holzhaus handelt es sich um die Pension "Wilhelmshorst", damals Pension "Nöldner", auf dem Wege zum Friedhof. "Keppler" war Hitlers persönlicher Berater für Wirtschaftsfragen und "Wüster" Fachmann für Propagandafragen).



Pension "Wilhelmshorst".
Hier wohnte Dr. Paul Schmidt.

Wie bereits erwähnt, plante die Protokollabteilung des Auswärtigen Amtes aus den gleichen Gründen die zentrale Unterbringung des Diplomatischen Corps im Riesengebirge.

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