Das Auswärtige Amt im Riesengebirge 1943 – 1945

Krummhübel

von Karl-Heinz Drescher, Leipzig

Krummhübel und das AA (Auswärtiges Amt), eine fast unendliche Geschichte. Seit über 10 Jahren, seitdem ich mich mit Heimatforschung beschäftige, interessiert mich, aber auch weitere geschichtsinteressierte Heimatfreunde aus Krummhübel und Umgebung, dieses Thema. Getreu dem Sprichwort "Jedermann sagt es, niemand weiß es", gab es bisher keine gesicherten Erkenntnisse. Alle diesbezüglichen Recherchen meinerseits gingen meist ins Leere. Einfache Fragen konnten nicht beantwortet werden.

Wann kamen die ersten Mitarbeiter, wo wohnten sie, wo waren die Büros, welche Aufgaben hatten sie, wie lange blieben sie im Ort. Fragen über Fragen und keine konkreten Antworten.

Diese Unwissenheit hat Ursachen. In Krummhübel, wie auch in anderen Orten des Reiches, gab es in den letzten Kriegsjahren zumeist nur wehruntüchtige Bewohner.

Wehruntüchtig war man ab, aber auch bis zu einem bestimmten Alter. Erstere, die noch etwas wissen könnten, sind bereits vor Jahren verstorben und kommen daher als Zeitzeugen nicht mehr in Frage. Niederschriften existieren auch nicht. Nach Kriegsende und anschließender Vertreibung hatte man andere Sorgen und Probleme, als sich um die Anwesenheit einiger hundert Beamter des AA im Heimatort zu kümmern. Letztere, zu denen auch ich zähle, haben sich für die damaligen aktuellen Ereignisse nicht interessiert, auch hätten sie die Zusammenhänge nicht verstanden. Dennoch ist einiges Wissen erhalten geblieben, wie weitere Recherchen zeigen sollten.

Persönlich waren mir die Baracken auf dem Sportplatz bekannt und auch die Anwesenheit der Kosaken, wie wir damals dachten, mit ihren Schlitten und kleinen Pferden sind mir noch in guter Erinnerung.

Erst nach Kriegsende, als meine Mutter im Riesengebirgsheim arbeitete und wir auch dort wohnten, wurde der Sportplatz mit den Baracken aus Neugierde oder Abenteuerlust mein erweiterter Spielplatz.

Eine Episode, in Verbindung mit den Baracken ist, werde ich nie mehr vergessen. In einem oder mehreren Zimmer waren nagelneue Bücher gelagert. War es nun mein späteres literarisches Interesse oder der angestammte Sammlertrieb, ich nahm einige Exemplare mit nach Hause. Noch heute kann ich mich gut an das entsetzte Gesicht meiner Mutter beim Anblick dieser Mitbringsel erinnern und an das anschließende Donnerwetter.

Bei den Büchern handelte es sich um Hitlers Machwerk "Mein Kampf". Unverzüglich musste ich die Bücher dorthin zurück bringen, woher sie stammten. Auch mein nächster "Erwerb", eine intakte Schreibmaschine, ging den gleichen Weg zurück.

Sie und weiteres Inventar kamen sicher etwas später in den Besitz polnischer Beutemacher, die damals die Orte des Riesengebirges durchstreiften.

Jahre später sollte ich erfahren, dass die Baracken Büros und Lagerräume des AA waren und erst vor wenigen Wochen stellte sich heraus, dass die Kosaken in Wirklichkeit Aserbaidschaner waren. Auch sie waren ein Teil des AA, aus Ermanglung von Benzin stellten sie mit ihren Gespannen den Fuhrpark.

Das Thema wäre wohl im Vergessenheit geraten, wenn nicht 1987 "Die Berliner Tagebücher der Marie "Missie" Wassiltschikow 1940 – 1945". erschienen wären und dadurch die Arbeit von Teilen des AA in den letzten Kriegsjahren wieder lebendig geworden wäre.

Das Krummhübel einen bedeutenden Platz in den Tagebüchern einnahm war ein Glücksfall für die Heimatforschung, aber auch schädlich für den relativ untadeligen Ruf des bekannten Kurortes.

Einige Autoren nutzten nun die Aussagen der "Missie" für ihre eigene Interpretation der Geschichte. Das die polnischen Autorinnen des geschichtsverfälschenden Machwerkes "Karpacz – Krummhübel, Geschichte einer Stadt unter der Schneekoppe" die Tagebücher für ihre Darlegung der Ereignisse von vor 1945 nutzen, war so zu erwarten. Die Tagebücher wurden 1993 durch Czytelnik, in Warschau ins Polnische übersetzt. War nun die Übersetzung mangelhaft oder hat man den Inhalt nicht verstanden bzw. nicht verstehen wollen, durch die Verlagerung des AA wurde nach ihrer Interpretation Krummhübel zum Zentrum der Spione. Nicht nur im Ort, auch auf der Schneekoppe saßen die Spione und alles war mit dem Hauptquartier verbunden.

Keine mangelhafte Übersetzung hatte die nächste Autorin, Angelika Grunenberg. Im Nachwort ihres Buches "Die Welt war so heil" – Die Familie der Else Ury, Chronik eines jüdischen Schicksals, schreibt sie:

"Krummhübel übrigens, das heute Karpacz heißt und in Polen liegt, hat nach der Vertreibung und Enteignung seiner Juden noch eine kurze Karriere als Nazi-Hochburg gemacht. Genau in jenen Januar-Tagen 1943, in denen Else Ury in Berlin auf ihre Deportation wartete, in einem eisigen, schneereichen Winter, ließ der Außenminister des Dritten Reiches, Joachim von Ribbentrop, einen Teil seines Ministeriums nach Krummhübel verlegen".

Weiter heißt es dann:
"Um die 500 Mitarbeiter und ihre Büros unterzubringen, beschlagnahmte das Auswärtige Amt sämtliche Gasthöfe und Hotels des Ortes und der Umgebung, ebenso zahlreiche Privathäuser, vermutlich auch Else Urys "Haus Nesthäkchen", dessen prominente Lage oben am Hang ja schon unter den ansässigen Krummhübeler Parteigenossen Begehrlichkeiten geweckt hatte".

So ausdauernd und akribisch genau Angelika Grunenberg den Briefverkehr zwischen Else Ury und ihrem Neffen Klaus Heymann recherchiert hat und damit die Grundlage für ihr bemerkenswertes Buch geschaffen hat, so wenig hat sie in den Berliner Tagebüchern, recherchieren kann man nicht sagen, gelesen.

Selbst das Jahr der Verlegung des AA nach Krummhübel ist falsch und damit der Vergleich mit der Deportation nach Auschwitz. Die Verlegung fand zwar auf den Tag genau, nur eben ein Jahr später statt. In den Tagebüchern stand auch nicht, das das AA sämtliche Gasthöfe, Hotels und Privathäuser des Ortes und der Umgebung beschlagnahmt hat. Die Aussage in den Tagebüchern bezog sich auf Hotels und Pensionen in der Nähe vom Tannenhof.

Krummhübel verfügte, gemeinsam mit Brückenberg und Wolfshau, die kurz zuvor zu Krummhübel eingemeindet wurden, über 5.500 Gästebetten. Dabei wurden einige große Häuser, wie das Riesengebirgsheim, Haus "Brandenburg", "Arbeitsdank", "Waidmannsheil" und Haus "Giersdorf", die von der Wehrmacht als Lazarett oder zur Erholung, wie z.B. für U-Boot-Besatzungen, genutzt wurden, nicht berücksichtigt.

Das AA brauchte auch nicht Häuser beschlagnahmen. Einige davon, wie der Tannenhof, die Villa Heinrich und die Teichmannbaude, gehörten ohnehin staatlichen Institutionen. Private Häuser waren über Einquartierungen erfreut, denn der Krieg hatte die Touristenströme versiegen lassen.

Dann die Aussage: "Nazi-Hochburg"! Heute auf Grund verstärkter Aktivitäten von Neonazis fast ein Modewort. Für einen Krummhübler ein herber Schlag gegen den Heimatort. Frau Grunenberg bezieht es auf die Anwesenheit des AA in Krummhübel. Betrachtet man die Biographien einiger Mitarbeiter, wie Generalkonsul Küster oder die bereits in der BW 59/3 und 59/4 erwähnten Wagner, Thadden, Six, Paul Schmidt, Keppler und weiterer hochrangiger Beamte, da trifft die Bezeichnung schon zu. Es gab aber auch die Männer des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, wie die ebenfalls bereits in der gleichen Ausgabe der Bergwacht erwähnten Graf von der Schulenburg und Hans-Bernd Haeften, die ihre antifaschistische Haltung mit dem Tod bezahlen mussten. Daraus resultierend sollte man nicht gleich ins Gegenteil verfallen und vielleicht von einem Hort des Widerstandes sprechen. Es gab, auch das sollte man nicht vergessen, die große Anzahl der Mitläufer und Verblendeten, die es in der ganzen übrigen Bevölkerung auch gab. Die Antwort wird daher irgendwo in der Mitte liegen.

Kommen wir zu den Berliner Tagebüchern zurück. Einige, nicht unwesentliche, Abschnitte des Buches beschäftigten sich mit Krummhübel, natürlich aus der Sicht einer Angestellten des AA, also einer Fremden. In Krummhübel sagte man, "einer Zugezogenen".

Marie Wassiltschikow, ab sofort nur noch "Missie" genannt, stammt aus einer alten russischen Adelsfamilie, die 1919 das Land verlassen musste und über die Stationen Paris und Litauen 1940 nach Berlin kam. Missie war 23 Jahre alt als sie im Auswärtigen Amt eine Anstellung findet. Sie war gebildet, sprach fließend englisch und russisch und durch ihren persönlichen Charme sehr beliebt. Ihre Tagebuchnotizen erschienen nach ihrem Tode 1978, erstmals 1985 in England, herausgegeben von ihrem Sohn.

Missie schreibt recht unbekümmert über ihr Erleben in Krummhübel. Ihre Ortskenntnisse waren mangelhaft und man braucht schon etwas Phantasie um richtige Schlussfolgerungen aus manchen Schilderungen zu ziehen. Dennoch ein wichtiges Zeitdokument. Weitere erwähnenswerte Bücher zu diesen Thema sind, Erich Franz Sommer, "Geboren in Moskau" und Hans-Georg von Studnitz "Als Berlin brannte".

Aussagen dieser Bücher wiederum nahm ich zum Anlass, um bei den von mir erwähnten "jungen Menschen" aus Krummhübel und Umgebung erneut zu recherchieren. Auch wenn das noch vorhandene Wissen manchmal gering war, aber wie bei einem Mosaik, ergaben viele kleine Teile, am Ende ein größeres und recht aussagekräftiges Gebilde.

Dennoch wäre es weitestgehend unvollständig geblieben, wenn nicht ein Geistesblitz, in Form eines Anrufes beim Auswärtigen Amt in Berlin, weitere richtungsweisende Informationen gebracht hätten.

Gleich mein erster Anruf in der Politischen Abteilung war ein Erfolg. Mit Dr. Peiker hatte ich einen Gesprächspartner gefunden, der die Problematik bestens kannte und meinem Anliegen sehr wohlwollend gegenüber stand. Er ermunterte mich, schriftlich Akteneinsicht zu beantragen. Ein Mitarbeiter seiner Abteilung würde sich der Sache annehmen, da er selbst Urlaub hatte. Dieser freundliche Mitarbeiter fand sich mit Dr. Kröger, der die entsprechenden Akten bereitstellte und auch weitere Fragen meinerseits uneigennützig beantwortete.

Ehe nun Missie ihre neue Arbeitsstelle in Krummhübel antrat, kam nach dem katastrophalen Luftangriff auf Berlin, am 23. November 1943, ein Vorkommando des AA nach Krummhübel, um Quartiere und Arbeitsplätze vorzubereiten.

Heimatfreund Siegfried Lorenz aus Wolfshau, Nr.39 "Haus Lorenz", kann sich an diese Ankunft noch gut erinnern. Als Mitglied im Jungvolk hatte er und noch einige Freunde, darunter Werner Gräbel vom gleichnamigen Baugeschäft, den Aufrag die ankommenden Beamten in ihre Quartiere zu geleiten. Ihr Hauptquartier hatten sie in der "Goldenen Aussicht" und harrten dort in mehr oder minder freudiger Erwartung auf die Ankunft der Beamten. Sie harrten vergeblich. Ein Busfahrer, wahrscheinlich ortskundig, hatte die Quartiere auf direkten Wege angefahren.



Elternhaus von Heimatfreund Siegfried Lorenz, in alter Ansicht.

Zur Unterbringung des AA existierte ein Arbeitsstab der bereits in Krummhübel tätig war. Ranghöchster Mitarbeiter war zweifelsohne Wilhelm Keppler, Staatssekretär, Berater von Hitler in Wirtschaftsfragen und SS-Obergruppenführer (entsprach einem General der Infanterie bei der Wehrmacht). Er residierte in Ober-Krummhübel im Haus "Carmen".



Haus Carmen in Ober-Krummhübel.
Hier residierte Staatssekretär Keppler.

Chef des Quartieramtes, verantwortlich für Unterbringung und Organisation war Generalkonsul Walter Wüster. An seiner Seite befand sich SS-Sturmbannführer Dr. Nitsch. Ihr Büro befand sich im Haus "Quisisana" im Breitehau. Als Sekretärin fungierte Frau Lilly von Gehlen, welche in der Villa Haase logierte.



Haus Quisisana in Breitehau, Aufnahme von 1908.
Büro von Generalkonsul Wüster, Chef des Quartieramtes.

GK Wüster war mit seiner Familie angereist und wohnte in Wolfshau in der Villa von Waldemar Bergmann, einem Industriellen aus Breslau.

Er war Jahre zuvor Organisator der Ausstellung "Der ewige Jude", später Gesandter in Rom. Im Ministerium galt er als Propagandafachmann. 1940 entsandte ihn der Reichsaußenminister als seinen Sonderbeauftragten nach Preßburg, um den slowakischen Propagandaapparat nach deutschem Vorbild zu reorganisieren.

Zur Arbeit wurde der Generalkonsul gefahren, am Anfang wohl mit dem Auto. Heimatfreund Rainer Frömberg, damals wohnhaft in Wolfshau, kann sich noch an einen großen Mercedes erinnern. Später musste er wohl auch die Dienste der Aserbaidschaner nutzen.

Heimatfreund Lorenz wohnte in der unmittelbaren Nachbarschaft und hatte sich mit der sehr hübschen Tochter namens Erika angefreundet. Sie ging in Hirschberg auf das Gymnasium, wohin sie täglich den Zug benutzte. Wenn sich die Gelegenheit ergab holte sie Siegfried Lorenz vom Bahnhof ab. Eines Tages ergab sich wieder diese Gelegenheit. Plötzlich erschien auch der Generalkonsul im Schlitten eines Aserbaidschaner in der gleichen Absicht. Enttäuscht malte sich Siegfried aus, wie er den langen Weg nach Wolfshau allein zurück legen würde. Umso erstaunt und erfreut zugleich war er, als ihn der Generalkonsul zur Mitfahrt einlud. Damit nicht genug, er selbst nahm auf dem Kutschbock Platz und Siegfried durfte an der Seite von Erika Platz nehmen. Die Fahrt blieb nicht unbeobachtet und die Bewunderung seiner Freunde am nächsten Tag war ihm gewiss.

Weitere Dienststellen waren die Bauleitung und die Sonderstaffel, welche sich unter Leitung von NSKK (Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorps) – Sturmführer Gretscher im Waldhaus Weimar befand. Auch die Verantwortlichen für die Telefonanlagen, Fernschreiber und Auftragsdienst befanden sich im gleichen Haus.



Waldhaus Weimar, Brückenberg
Unterkunft und Büros der Bauleitung und Sonderstaffel.

Der Reichsaußenminister (RAM) hatte ebenfalls ein Büro. Es befand sich im Haus Roth und wurde vom Vortragenden Legationsrat Dr. Lohmann geleitet. Angestellte von RAM wohnten in den Häusern "Ibach" und "Fortuna".

Dem Reichsaußenminister direkt unterstellt war die Referatsgruppe Inland II. Diese war auch für "Judenvorgänge" zuständig. Die Leiter und Referenten gehörten fast ausnahmslos der SS an. Himmler und die SS-Hauptämter nahmen durch dieses Referat massiven Einfluss auf die Politik und das Personal des AA. Legationsrat I. Klasse, Horst Wagner war ab April 1943 als Leiter der Gruppe Inland II zuständig für "Antijüdische Auslandsaktionen". Von ihm stammte die Idee einer gemeinsamen Konferenz von Auswärtigem Amt und SS zur Koordinierung bei der Umsetzung der "Endlösung" der Judenfrage. Die Tagung fand im April 1944 in Krummhübel statt.

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