Das Ende einer (Familien) Dynastie

Karl-Heinz Drescher, Leipzig

70 Jahre, von 1875 bis 1945, drei Generationen mit Friedrich, Emil und Heinrich herrschte sie, die Familie Pohl, fast uneingeschränkt als Wirte beider Bauden auf der Schneekoppe.
Der Vertreter der vierten Generation Hans-Eberhard Pohl ist als Letzter dieser Dynastie am 07.07.2013 im Alter von 88 Jahren an seinem Wohnsitz in Erfurt verstorben.

Ein verbrecherischer Krieg und die anschließende Vertreibung verhinderten, dass er das Erbe seiner Vorväter fortführen konnte. Ob er es gewollt hätte, diese Frage stellte sich nach 1945 nicht mehr.

Die Heimatgemeinschaft Krummhübel-Brückenberg trauert um einen ihrer treuesten Mitglieder. Still und bescheiden, ohne viel Aufhebens von seiner Person zu machen, war er ständiger Gast unserer Heimattreffen in Braunlage. Mancher der ehemaligen Bewohner unserer Heimatdörfer und jetzt Gast in Braunlage hat ihn oft gar nicht wahrgenommen.

Seine Heimatliebe war unendlich, gemeinsam mit seiner Frau Ingrid, mit der er 53 Jahre verheiratet war und diese Leidenschaft mit ihm teilte und eine treue Begleiterin wurde, war er Jahr für Jahr ständiger Gast in Krummhübel. Dort ist er geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen und als die Jugend noch nicht vorbei war, Soldat für eine schlechte Sache geworden.



Portrait von Hans-Eberd Pohl

Bei seinen Besuchen im heutigen Karpacz wohnte er stets bei seiner Schulfreundin, Lotte Nowak, im früheren Haus von Elektromeister Ende im Tannigt. Ein Aufstieg zur Schneekoppe war ein jährliches Muss.

So musste er erleben, dass beide Bauden unter sozialistischer Obhut verkamen und abgerissen werden mussten. Das letzte Mal übernachtete er in der ehemaligen Preußischen oder Schlesischen Baude, bevor sie kurz darauf im Februar 1966 einem Schneesturm zum Opfer fiel.



Beide Bauden auf der Schneekoppe

Für Hans, wie ihn seine Freunde nannten, war dies der definitive Schlusspunkt hinter dem siebzigjährigen Wirken der Familie Pohl auf dem Gipfel der Schneekoppe.

In den letzten Jahren hatte er unter einer schweren Krankheit zu leiden und verbrachte viel Zeit im Krankenhaus. Sein Lebenswille war aber ungebrochen, immer auf Genesung hoffend, verdrängte er seine Krankheit und war voller Optimismus. Noch im Mai dieses Jahres, von seiner Krankheit schon schwer gezeichnet, sozusagen einer inneren Stimme folgend, trat er seine letzte Reise im eigenen Pkw nach Krummhübel an. Vom Auto aus, das Laufen war kaum noch möglich, besuchte er sein Elternhaus im Breitenhau und andere liebgewonnene Stätten in seinem Geburtsort. Sein langjähriger tschechischer Freund Dr. Klimes, Landschaftsökologe und Herausgeber der bekannten Riesengebirgszeitschrift "Veselý Výlet" mit dem er sich im früheren Dunkeltal traf, fuhr ihn in den Riesengrund bis zur Kapelle am Fuße der Schneekoppe.
Hier konnte er sich von seiner geliebten Schneekoppe, dem Berg seiner Vorfahren, verabschieden.

Danach war wohl sein Lebenswille gebrochen. Geschwächt trat er die Heimreise an und wenig später ist er in seiner Wohnung, umsorgt von seiner geliebten Ingrid, verschieden. Die Heimatgemeinschaft wird sich seiner noch lange und gern erinnern.



Ingrid und Hans Pohl im Kreise der Arbeiterr beim Abriss der Böhmischen Baude

Mit Recht werden die Pohls Pioniere der Riesengebirgstouristik genannt.

Ur-Großvater Friedrich, aus dem Isergebirge kommend, pachtete 1865 vom Baron Nadherny den herrschaftlichen Gasthof am Eingang zum Felsenlabyrinth Wekelsdorf / Adersbach. Sich der Tatsache bewusst, das ungewöhnliche Erlebnisse zum Gaststättenbesuch motivieren, ließ er den kleinen See inmitten der Felsenstadt regulieren und führte Kahnfahrten auf dem märchenhaften Felsensee ein, die sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreuen. Die beim Anlegesteg in den Fels gemeißelten Initialen FP erinnern noch an den Gründer der Dynastie.
Viele Besucher der Felsenstadt reisten weiter zur Schneekoppe und Friedrich Pohl erkannte frühzeitig die Bedeutung von Schlesiens höchstem Gipfel für den aufkommenden Tourismus. Als er 1875 die Chance zum Kauf bekam griff er zu und erwarb von Friedrich Sommer die beiden Gipfelbauden auf der Schneekoppe.

Das anschließende siebzigjährige Wirken der Familie Pohl auf der Schneekoppe sollte zu einem Höhepunkt in der Geschichte der Gastronomie des Riesengebirges werden. Friedrich Pohl wandelte die schlichten Gebirgsbauden in feine Hotels um. Auch das Getränke- und Speiseangebot in den Bauden entsprach den erstklassigen Hotels und Restaurants in Berlin und Dresden. Er trug damit der Tatsache Rechnung, dass jetzt Touristen aus den gehobenen Schichten ins Riesengebirge kamen.
Nach Friedrichs Tod übernahm dessen Sohn Emil Pohl, der Großvater von Hans, 1886 das Geschäft. Theodor Fontane, der langjährige Feriengast von Krummhübel, hat Friedrich Pohl durch seine Geschichte "Eine Nacht auf der Koppe" ein literarisches Denkmal gesetzt.
In dieser Zeit erlebte das Riesengebirge das goldene Zeitalter des Tourismus. Dieser entwickelte sich immer mehr vom Privileg einiger weniger zum breiten Massentourismus.



Gastraum in der Deutschen Baude

Die Speisekarte der Preußischen Baude aus dem Jahre 1905 spricht Bände: Taubensuppe, Zander in Teigkruste, Kalbskamm oder eine Spezialität des Hauses, Schneebälle in Weinsauce. Frische Konditoreiwaren und Kuchen waren eine Sache der Selbstverständlichkeit.
Fassbier wurde hauptsächlich aus den Brauereien von der böhmischen Seite der Berge gezapft. Die um eine Veranda erweiterte Böhmische Baude war vor allem ihrer gediegenen böhmischen Küche, einschließlich Schweinebraten, Kraut und Knödeln wegen berühmt. Zwei Schweine wurden übrigens mit Küchenresten gefüttert, in einem Stall direkt auf dem Gipfel der Schneekoppe.

Die Qualitätsweine für die Hotelgäste besorgte Emil Pohl in namhaften Weinkellern aus der Umgebung von Wien. Der Weißwein stammte zumeist von den Weinbergen um Gumpoldskirchen und Klosterneuburg, der Rotwein aus Bad Vöslau. Süße und rassige Weine aus Ungarn rundeten das Angebot ab. Auch einige Sorten von Mineralwasser in Originalflaschen standen im Angebot. Als Schnellimbiss oder auch als Nascherei für die Kinder verkaufte man hier um 1890 eine eigens von Emil Pohl von der Schneekoppe hergestellte Vanilleschokolode, schon damals in Papier mit hochwertigem Lithografie Druck der Gipfelbauden samt Kapelle verpackt.

Emil Pohl ließ genauso wie später sein Sohn Heinrich, dem Vater von Hans, einen eigenen Kaffee rösten. Man schickte sogar regelmäßig Wasserproben in die Kaffeefabrik, um den Röstprozess genau auf die Wasserhärte abzustimmen. Dennoch war der Kaffee laut Zeitzeugen auf der Böhmischen Baude noch besser. Franziska Sagasser, die langjährige Angestellte, mit der Hans und Ingrid Pohl noch bis zu ihrem Tod vor wenigen Jahren und auch heute noch mit ihren Kindern, welche in Prag wohnen, einen engen freundschaftlichen Kontakt pflegen, erinnert sich, wie sie hier jeden Morgen mindestens hundertzwanzig "Kaffeepötte" für Gäste vorbereitete, die sich zum Sonnenaufgang eingefunden hatten.

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