von Karl-Heinz Drescher, Leipzig
Folgende Quartiere waren für die Unterbringung vorgesehen:
Protokollchef Alexander von Dörnberg unternahm daher in Begleitung leitender
Mitarbeiter Mitte Januar 1944 eine ausgedehnte Inspektionsfahrt. Die Eindrücke,
welche an Gauleiter Karl Hanke nach Breslau telegraphiert wurden, hörten
sich so an: "Die Besichtigung der für die diplomatischen Missionen
vorgesehenen Objekte im Raum Krummhübel / Schreiberhau hat leider zu keinem
restlos befriedigenden Ergebnis geführt. Der Zustand der für diese
Zwecke vorgesehenen Hotels und der von der Wehrmacht freigemachten Erholungsheime
ist zum Teil derart, dass sie nicht ohne erhebliche Instandsetzungsarbeiten
ihrem Verwendungszweck zugeführt werden können. Auch die im hiesigen
Raum zur Verfügung stehenden Schlösser und Gutsbesitze können
nur zum kleinsten Teil sofort belegt werden".
In einer Aufzeichnung für den Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop
vom 23.01.1944 fasste der Protokollchef die Probleme zusammen:
"Vorab muss gesagt werden, dass der gesamte Raum sich für diese Aufgabe
denkbar wenig eignet. In den bekanntesten Badeorten wie Krummhübel, Schreiberhau,
Flinsberg und Warmbrunn sind die Hotels durchweg drittklassig. In den seltensten
Fällen haben auch die besten Hotels mehr als ein Badezimmer, und auch die
sonstigen sanitären Anlagen lassen sehr zu wünschen übrig. Aufenthaltsräume
für Hotelgäste sind so gut wie nirgends vorhanden. Die Heranziehung
der Privatquartiere bereitet gleichfalls größte Schwierigkeiten,
zumal sich die in diesem Raum befindlichen Schlösser fast durchweg in einem
erbärmlichen Zustand befinden. Nur in ganz wenigen Fällen eignen sie
sich für die Unterbringung von Missionschefs".
Eigentlich sollte den Diplomaten noch im Februar 1944 ihre neuen Quartiere gezeigt
werden. Diese Fahrt unterblieb aber auf Wunsch des Ministers. Dazu findet sich
eine kurze Aktennotiz Dörnbergs über ein Gespräch mit Ribbentrop
am 22.03.1944 in Salzburg:
"Ich habe die Angelegenheit einer Besichtigungsfahrt der Missionschefs
nochmals mit dem Herrn Reichsaußenminister besprochen. Er möchte,
dass die Angelegenheit eines Besuches in Krummhübel noch etwas zurückgestellt
wird. Er ist der Ansicht, dass ein Besuch der Missionschefs sofort das Gerücht
aufkommen lassen würde, das Auswärtige Amt würde nach Krummhübel
verlegt."
Das Diplomatische Korps blieb weitestgehend in Berlin. Erst Mitte Februar, als
die Front immer näher an Berlin heranrückte, hat das Korps Berlin
fast vollständig verlassen. Das AA ermunterte die Diplomaten inoffiziell
abzureisen und weist Ihnen neue Quartiere zu. So wurden z.B. im "Österreichischen
Hof" in Salzburg Räume für die irische, portugiesische und spanische
Botschaft beschlagnahmt.
Zur einer vollständigen Verlagerung des AA kam es nicht. Einige kriegswichtigen
Referate verblieben in Berlin. Die in Krummhübel tätigen Beamten des
AA wurden im Januar 1945 nach Mühlhausen / Thüringen verlagert und
erlebten dort das Ende des Krieges.
Einige Beamte verblieben, aus welchen Gründen auch immer, bis zur Kapitulation,
manche noch länger, in Krummhübel.
Das misslungene Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 hinterließ auch
in Krummhübel Spuren. Erich Franz Sommer, Autor des Buches "Geboren
in Moskau", damals in der Abteilung Protokoll des AA, berichtete in seinem
Buch darüber:
In der Pension "Waldidyll", rechts der Straße zwischen "Dreyhaupts-Hotel"
und "Teichmannbaude" gelegen, waren Familienmitglieder höherer
Beamter des AA untergebracht. Die Leitung und Versorgung der Pension war einer
jüngeren Sudetendeutschen, Amtsträgerin der NS-Frauenschaft, anvertraut.
Statt eines Tischgebets wurden bei jeder Abendmahlzeit pathetische Durchhalteparolen
verkündet. Als man sich an jenem 20. Juli zu Tisch begeben wollte, kam
18.45 Uhr die Sondermeldung über das gescheiterte Attentat aus dem Führerhauptquartier.
In der eingetretenen Totenstille war plötzlich ein jäher Aufschrei
zu hören: "Das kann doch nicht wahr sein. Der Kerl muss doch tot sein".
Ruferin war Frau von Haeftens, die Mutter von Hans Bernd von Haeften, dem Leiter
der Kultur-Politischen Abteilung im AA. Die Leiterin der Pension verständigte
sofort die Ortspolizei und den Parteiobmann von Krummhübel. Bis zum Eintreffen
der Obrigkeit gelang es Frau von Haeften sich noch in ihrem Zimmer einzuschließen
und Papiere zu verbrennen. Bei ihrer Festnahme fand man nur noch Aschenreste
und eine Flasche Benzin vor. Der Parteiobmann (gemeint ist Bürgermeister
Gaitsch) ereiferte sich lautstark über das verräterische Gesindel,
zu dem auch, dabei zeigte er auf die Verhaftete, selbst die Schwester Generalfeldmarschalls
von Brauchitsch gehörte. Man brachte sie nach Hirschberg und von da nach
Berlin. Dort fand man noch belastendes Material, welches die Mitschuld ihres
Sohnes Hans Bernd bewies. Er wurde genau wie sein Bruder Werner, welcher Adjutant
bei Graf von Stauffenberg war, erschossen. Über das weitere Schicksal von
Frau von Haeften konnte ich nichts erfahren.
Ein weiteres Opfer des misslungenen Attentats auf Hitler war Graf von der Schulenburg.
Er residierte in Ober-Krummhübel in der Villa Hentschel und war wohl der
bekannteste Vertreter des AA in Krummhübel. Als ehemaliger Botschafter
in der Sowjetunion, von 1934 bis 1941, trat er für eine Verständigung
zwischen Deutschland und der Sowjetunion ein. Er war maßgeblich am Zustandekommen
des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt vom August 1939 beteiligt. Bis zuletzt
versuchte er den Überfall auf die Sowjetunion zu verhindern. Er warnte,
Russland sei militärisch stark und seine Industriereserven praktisch unangreifbar.
Im Sommer 1943 suchte Carl Friedrich Goerdeler, ein Kopf des deutschen Widerstandes,
Kontakt mit von der Schulenburg. Die beiden diskutierten über Möglichkeiten
eines Sonderfriedens mit der Sowjetunion. Die Verschwörer sahen ihn zeitweise
als den deutschen Außenminister nach dem Staatsstreich. Er wurde am 23.
Oktober 1944 zum Tode verurteilt und am 10. November 1944 im Strafgefängnis
Berlin-Plötzensee erhängt. Sein Grab ist heute Teil einer Gedenkstätte
für die Beteiligten des Attentates vom 20. Juni 1944 auf dem Hauptfriedhof
in Braunschweig.
Der Autor E. F. Sommer berichtet auch über die Geburtstagsfeier seiner
Mutter, welche am 01. November 1944 im AOK-Erholungsheim "Haus Lichtenberg"
stattfand. Da er eine Sonderzuteilung von markenfreien Reis, ungarischen Hühnerkonserven,
Wein und Schnaps erhalten hatte, lud er alle seine Kollegen und Mitarbeiter
ein. Als Höhepunkt der Feier und zur Überraschung der Gäste,
trat ein Kosakenchor aus deren Erholungsheim in Arnsdorf auf. Zur Weihnachtsmette
und am Silvesterabend pilgerten viele Beamte, gemeinsam mit Einheimischen und
Evakuierten, zu der tief verschneiten Kirche Wang. Die Kirche war völlig
überfüllt und konnte die vielen Menschen nicht fassen. "Frieden"
war der einzige Wunsch der im Hause Lichtenberg beim Jahreswechsel 1945 ausgesprochen
wurde.
Am Ende seines Buches berichtet er über seine Festnahme durch einen Smersch-Offizier
(Smersch: russ. "Tod den Spionen", war der militärische Nachrichtendienst
der Sowjetunion). Die Festnahme erfolgte am 01. Juni 1945 in dem bereits erwähnten
"Haus Lichtenberg" in Krummhübel. Offiziell deklarierte Major
Ryschow die Festnahme als "Einladung" des kommandierenden Generals
zu einem Informationsgespräch nach Gottesberg / Waldenburg.
Die Autofahrt fand eine Unterbrechung bereits in der Ortsmitte. Major Ryschow
ließ am "Goldenen Frieden", dem "ersten Haus am Platz"
halten. Dienstbeflissene befrackte Kellner empfingen sie und begleiteten sie
zum Terrassenrestaurant. Ryschow empörte sich. "Diese kapitalistischen
Kreaturen müssen verschwinden. In Kürze werden die Polen den Betrieb
übernehmen, dann wird dieser Unfug aufhören". Schon wenige Wochen
später, vielleicht waren es auch nur Tage, sollte diese Aussage Wirklichkeit
werden. Eine Speisekarte gab es nicht. Ryschow ordnete Omelette, Wurst oder
was man sonst auftreiben könnte, an. Den angebotenen Rheinwein spuckte
er im hohen Bogen wieder aus. "Dies saure Zeug kann nur ein deutscher Magen
vertragen". In Ermanglung von Wodka verlangte er Schnaps. Die schnell herbeigeholte
Flasche Cognac trank er sofort in gierigen Zügen leer.
Die anschließende Fahrt endete nicht wie angegeben in Gottesberg beim
kommandierenden General, sondern in Waldenburg in einer Arrestzelle. Nach einigen
Verhören erfolgte alsbald der Flug nach Moskau und endete, wie meist üblich
in dieser Zeit, mit oder ohne Geständnis, bei ihm für zehn Jahre im,
Gulag.
Für die angestammte und durch die Kriegswirren "zugezogene" Bevölkerung
ging es danach auch auf unfreiwillige "große Fahrt", nicht mit
dem Pkw oder Flugzeug in Richtung Osten, wie bei E. F. Sommer, sondern im Viehtransport
in Richtung Westen. Sie ging auch nicht in ein Straflager oder wie bei Millionen
Menschen in ein Vernichtungslager, aber sie ging in eine ungewisse und wie sich
herausstellte, entbehrungsreiche Zukunft.