von Karl-Heinz Drescher, Leipzig
Die Fahrt begann am Riesengebirgsheim, dort waren die Aserbaidschaner mit ihren Pferdegespannen stationiert, für die Presseabteilung und Zahlstelle der Legationskasse. Danach ging es bergan zu den Baracken am Gerichtskretscham, wo die Hausverwaltung und Transportabteilung tätig war, sowie für die Abteilung Protokoll im Haus "Lichtenberg".
Nächste Station waren die Baracken
der Abt. Kult. Pol. auf dem Sportplatz.
Von dort ging die Fahrt den Neuhäuser aufwärts zum Hotel "Goldener
Frieden". Der nächste Stopp fand am Haus "Quisisana", für
das Quartieramt, für Haus "Sonnenhalde" in Wolfshau und für
die Kaiser-Friedrich-Baude in Steinseiffen, statt.
Wenige Meter weiter dann der nächste Halt am Hotel "Preussischer Hof".
Hier fand der Aktenaustausch für die Häuser "Hentschel",
"Eldorado", "Flora, "Fichteneck" und Hotel "Reichshof"
statt.
Nächster Halt am Haus "Carmen", wo Staatssekretär Keppler
residierte.
8. Station war dann "Waldhof Weimar", an der Grenze zu Brückenberg,
für den Auftragsdienst, Pers. Z., Telefonzentrale, Fernschreibstelle und
Arbeitsstab Hotel Weimar. Der Weg zur 9. und letzten Station am Hotel "Franzenshöh"
war dann etwas länger. Hier erfolgte der Aktenaustausch für die Beschaffungsstelle,
Abteilung Recht und Personal L. in den Hotels bzw. Pensionen "Thiele",
"Mandel" und "Franzenshöh".
Der Aktenaustausch mit Hirschberg, Hain und Hermsdorf erfolgte wie bisher jeden
Montag, Mittwoch und Freitag durch Kraftwagen.
Kurier-Frachtgepäck für Krummhübel gab es nur noch 3 x in der
Woche. Die Abholung in Berlin erfolgte am Görlitzer Bahnhof.
Ende 1944 gab es auch noch Kurierflüge und -züge in die Hauptstädte
der Länder, die noch von Deutschland besetzt waren bzw. noch diplomatische
Beziehungen zum Reich unterhielten.
Ein Kurierplan vom 18.08.1944 gibt darüber Auskunft.
Montag 21.08. erfolgte ein Flug, jedoch ohne Gepäck, nach Helsinki. Nach
Bern Mailand fuhr ein Kurierzug und nach Kopenhagen und Stockholm ging
es mit dem Flugzeug.
Am Dienstag 22.08. Budapest und Bukarest mit der Bahn, Mailand mit Flug und
Stockholm ebenfalls Flug.
Am Mittwoch 23.08. Belgrad Sofia Athen Flug, Bern
Zug, Pressburg Budapest.
Donnerstag 24.08. ging es mit dem Flugzeug nach Barcelona, Madrid und Lissabon,
weiterhin nach Stockholm und Helsinki.
Am Sonnabend 26.08. Flüge nach Bukarest, Barcelona, Madrid, Lissabon und
Mailand, dazu eine Zugverbindung nach Bern.
Innerbetrieblich oder sollte man hier besser AA-Intern sagen, gab einen gehörigen
Arbeitsaufwand. Hierzu einige Beispiele.
Die Gespanne der Aserbaidschaner waren nicht nur für den Dienstgebrauch,
sie konnten auch für private Zwecke genutzt werden, wie aus einer Mitteilung
des Quartieramtes hervorgeht.
"Betr. Benutzung des Gespanndienstes
Gespanne mit je 2 Pferden mit Arbeits- und Personenfahrzeugen stehen täglich,
außer Sonntag, zwischen 8 und 11 Uhr und13 18 Uhr.
Die Arbeitsstunden sind wegen der Futterzeiten genau ein zu halten. In Ausnahmefällen
auch Gespanne zwischen 19 21 Uhr zum Bahnhof.
Bei Privatfahrten kostet eine Std., vom Stall zum Stall 5,- RM.
Kutschwagen müssen rechtzeitig bestellt werden, da die Kutscher sich umziehen
müssen.
Pferde und Kutscher müssen schonend behandelt werden. Pferde sollen trocken
in den Stall kommen, müssen nach Anstrengungen und kalten Wetter eingedeckt
werden. Pferde sollen nicht unnötig lange stehen. Wenn die Ankunft eines
Zuges unbestimmt ist, bleiben die Pferde im Stall und werden bei Ankunft telefonisch
abgerufen".
Eine weitere Mitteilung, deren Lösung auch einen gewissen Aufwand voraus
setzte:
"Am 01. d.M. ist hier der Amtsrat Schenkenberger verstorben. Seine Beerdigung
findet am Mittwoch den 06. Dez. auf dem hiesigen Waldfriedhof statt, wohin sich
der Trauerzug von 14 Uhr 30 von der ev. Kirche in Krummhübel aus begibt.
z.H. Herrn Gesandten Fabricius
Hotel Goldener Frieden".
Auch mit Selbstverständlichkeiten musste man sich beschäftigen. Das
zeigt die nächste Mitteilung vom Generalkonsul Wüster:
"Betr. Kurkonzerte
Die Kurverwaltung Krummhübel beschäftigt seit einigen Tagen eine Kurkapelle,
welche regelmäßig Kurkonzerte im Kurpark, an der Talsperre und Sonderkonzerte
in den Sälen der hiesigen Hotels durchführt.
Eintrittspreise p. P. 0,30 RM
Dauerjahreskarten (Mai August) 3,00 RM
Es ist unstatthaft und ungehörig, wenn Angehörige des AA freien Eintritt
fordern.
Wüster
Generalkonsul"
Das AA war aber auch Arbeitgeber und brachte vielen Einwohnern Lohn und Brot.
Für umfangreiche Transporte, schwere Lasten usw. wurden folgende Fuhrhalter
verpflichtet:
Aus Krummhübel-Brückenberg waren das Julius Seidel, Oskar Maiwald,
Alexander Gajewski, Paul Hoffmann, Artur Weissbach und Reinhold Klose, aus Steinseiffen
Richard Knobloch, aus Arnsdorf Krause, aus Hain Hedwig Müller und Emma
Menzel, aus Hermsdorf Richard Diessner und Otto Tuchlitz, in Zillerthal war
es Alfred Kammel, aus Warmbrunn kam Paul Giersdorf und Spediteur Gebauer, in
Hirschberg war es Spediteur Brinschwitz, Schreiberhau, wo es keine Dienststelle
des AA gab, stellte mit Paul Baumert, Vinzens Möhwald, Georg Erben, Thäsler,
Erich Bürgerl, Ernst Grossmann und Gustav Liebig, das Groß der Fuhrunternehmer,
in Schmiedeberg und Arnsberg waren es Spediteur Thiemann und Exner, aus Jannowitz
kam der Spediteur Kleiner.
Eine solch große Anzahl von Mitarbeitern brachte natürlich auch Versorgungsprobleme
mit sich, besonders zu einer Zeit der Lebensmittelknappheit und der Rationierung.
Auch wenn es ab und an, wie man bei Missie erfahren kann, Sonderrationen für
das AA gab.
Extra für die Versorgung der Mitarbeiter und Gäste existierte in Krummhübel
ein Ernährungsamt.
Auch im vorletzten Kriegsjahr gab es auf diplomatischer Ebene noch hochrangigen
Besuch, der entsprechend versorgt werden musste.
Wie alle Bewohner erhielten auch die Mitarbeiter des AA Lebensmittelkarten.
Folgende Mitteilung ist in den Akten vorhanden:
"5. Juni 1944. Das Ernährungsamt Krummhübel weist darauf hin,
dass die Angestellten des AA Lebensmittelkarten durch einen Beauftragten jedes
Hauses abzuholen haben".
Die Mitarbeiter erhielten neben den Lebensmittelkarten und Verpflegungszuschüssen,
auch Trennungsentschädigungen.
Eine Anneliese Thiel vom Sprachdienst erhielt für die Zeit von November1943
bis Juni 1944 insgesamt 289,78 RM Verpflegungszuschuss.
Spyroßoulos, Elestheria, ein Fremdsprachen-Angestellter der am 02.01.1944
nach Krummhübel kam erhielt für die Zeit von April bis Juni 491,40
RM Trennungsentschädigung von der Legationskasse in Brückenberg.
Im Haus "Johanna" gab es eine Beschaffungsstelle, die Quartierabrechnung
befand sich im Haus "Quisisana", ein Konsularsekretär Wilfling
war im Haus "Lichtenberg" für Wirtschaftsfragen zuständig,
dem Kanzler Jahn unterstand die Hausverwaltung und im "Tannenhof"
war eine Frau Ahrens für die Kameradschaftshilfe zuständig.
Kultur:
Das Leben besteht aber nicht nur aus Arbeit, Essen und Schlafen, auch heißt
es im Sprichwort:
"Der Mensch lebt nicht vom Brot allein".
Wie sah es nun mit den Freizeitangeboten im vorletzten Kriegsjahr aus, in einem
Kurort, der in der Vorkriegszeit ein so reiches kulturelles und sportliches
Angebot für seine Gäste bereit hielt. Die Antwort lautet: Außer
Theater- und Kinobesuchen und den Wintersportmöglichkeiten, der Schnee
lag im Februar 1944 fast einen Meter hoch, beschränkte sich das Angebot
zumeist auf Restaurantbesuche und Kameradschaftsabende.
Die meisten Antworten findet man wieder im Tagebuch von Missie. Gleich nach
ihrer Ankunft in Krummhübel fuhr sie mit Bekannten und dem Graf von der
Schulenburg in die nächste Kleinstadt ins Theater (gemeint ist Hirschberg).
Im Tagebuch schreibt sie:
"Die Aufführung war gut; die Schauspieler stammten aus einem bedeutenden
Theater im Rheinland, das ausgebombt worden ist".
Das Theater und auch das Kino im "Preußischen Hof" wurden genutzt,
denn in der Baracke 2 am Sportplatz gab es extra eine Planstelle "Theater-
und Kinokarten", ein Herr Passolt hatte dieses Amt inne.
Missie liebt ansonsten Bücher. Im benachbarten Dorf hat sie eine Halbamerikanerin
besucht, die sie aus Berlin kennt. Sie leitet ein Archiv und borgt ihr englische
Zeitschriften und Bücher.
Der erste Restaurantbesuch fand im "Goldenen Frieden" statt. "Es
wurde kleine Stücken ungenießbaren Fleisches serviert, obwohl Fleischmarken
abgegeben wurden. Nach Beschwerde erhielt man etwas Wurst", so steht es
im Tagebuch.
Der nächste Besuch ist schon zufriedenstellender. Es gab ein Abendessen
im "Preußischen Hof". Dort war gerade ein Schwein geschlachtet
worden, und alle schlugen sich mit den Innereien voll.
Der nächste Besuch eines Restaurant hätte wohl auch in Friedenszeiten
stattfinden können.
Am Samstag, 25. März, 1944 lud sie Graf von der Schulenburg zu einem Ausflug
auf den Pfaffenberg ein. Ihr Eintrag hört sich so an:
"Die Pferde gehören dem A.A. Es hat einen ganzen Marstall. Der asiatisch
aussehende Kutscher war ein Aserbaidschaner. Es gibt eine ganze Reihe von diesen
Leuten hier, da sie die Deutschen an der Ostfront nicht einsetzen wollen. Sie
tragen schlecht sitzende deutsche Uniformen, in denen sie sehr sonderbar aussehen,
sind aber allgemein gutmütig. Auf Schloss Pfaffenberg kann man nach vorheriger
Bestellung zu Abend essen".
Der Hausherr ( gemeint ist Baron Pergla von Perglas) und seine Frau haben die
Gäste sehr herzlich empfangen. Gegessen wurde in einem kleinen Speisesaal
mit verblichenem blauweißem Chintz, romantischer Beleuchtung und all jenen
kleinen Dingen, die man im trostlosen Dasein im Tal schon vergessen hat.
Es gab ein köstliches Abendessen, mit Pfirsichen und Schlagsahne am Ende.
Die Gastgeber zeigen ihnen ihr Reich. Es gab sogar ein Gewächshaus wo man
Rosen züchtete. Zum Abschluss gab es noch Cognac.
Am, 13. April 1944 ist ein guter Freund von Missie, Hans-Georg von Studnitz,
in Krummhübel eingetroffen. Er kam im Gefolge vom Gesandten Schmidt, dem
Leiter der Nachrichten- und Presseabteilung beim AA. Schmidt hat eine blende
Karriere im NS-Staat hingelegt und ist Deutschlands jüngster Gesandter.
Er trifft sich hier mit Tido Gaspar, dem Minister für Propaganda der Slowakei.
Missie trifft Schmidt auf der Brücke über die Lomnitz, in der Nähe
der Teichmannbaude.
Er war dabei im "Goldenen Frieden" einen Kameradschaftsabend für
seine Presseabteilung zu organisieren. Missie wird von ihm spontan eingeladen.
Mit dem Pferdeschlitten ging es am Abend zum Hotel. Es gab reichlich Getränke:
Cognac, Wein und Sekt, dazu wurden Butterbrote gereicht. Tido Gaspar lud alle
Anwesenden in sein Land ein. Der Bürgermeister von Krummhübel (gemeint
ist Gaitzsch) war auch anwesend. Er flirtete auf etwas plumpe Weise mit ihr.
Er widert sie an. Missie verlässt mit einer Freundin vorzeitig das Fest.
Auch auf privater Basis wird gern gefeiert, zumindest wenn es etwas zu feiern
gibt. Die Anlässe sind oftmals sehr gering, man freut sich über jede
Abwechslung. Davon zeugt ein nächster Eintrag im Tagebuch:
"Graf Schulenburg war zu Besuch. Er hatte gerade ein Paket mit Nüssen,
Rosinen und getrockneten Feigen aus der Türkei erhalten und auch etwas
Kaffee und Cognac mitgebracht, so das ein rechtes Festmahl daraus wurde".
Wenig später, am 12.04 1944, erhält Missie ein Paket mit Butter, Wurst
und Speck. Auch jetzt gibt es ein Festmahl, wie es im Tagebuch festgehalten
wurde.
Abendessen gab es sehr oft bei Graf von der Schulenburg. Er war ein Kavalier
der alten Schule und hatte eine gewisse Schwäche für schöne und
geistig rege Frauen, wie z.B. für "Missie".
Als der Gesandte Schleier, vorher Generalkonsul in Frankreich, neuer Personalchef
in Krummhübel wird, gab es im Tannenhof eine schwungvolle Rede und danach
den fast obligatorischen Kameradschaftsabend im "Goldenen Frieden".
Beim Eintreffen von Dr. Sixt, aus Anlass der "Konferenz der Judenbeauftragten",
wird er von Missie und ihren Freunden zum Abendessen eingeladen.
Nach der Konferenz inspiziert Dr. Sixt die Tätigkeit der AA-Mitarbeiter.
Auch Missie muss zum Rapport. Er bot Kaffee, Gebäck und Cognac an. "Es
war fast ein Festmahl." stellte sie danach fest. Am späten Nachmittag
gab es einen Appell. Es erfolgte eine Auswertung der Inspektion. Die Mitarbeiter
würden es mit der Auslastung der Arbeitszeit nicht so genau nehmen, so
die Meinung von Sixt. Damit ist die Kenntnis von Festmahlen und Kameradschaftsabenden
erschöpft.
Wintersport war notgedrungen und auf Grund der Gegebenheiten das Freizeitangebot
Nr.1. Gleich nach ihrer Ankunft im Januar machte sich Missie über ihre
Kollegen lustig, da sie alle in ausgebeulten Hosen, bunten Schals und Strickmützen
herumliefen. Dazu ziehen sie kleine Schlitten hinter sich her, auf denen sie
am frühen Morgen zur Arbeit fuhren.
Missie traf sich mit von der Schulenburg zum Skilaufen an der Teichmannbaude.
Oft geht sie allein auf einen steilen Hügel hinter einem pompös aussehenden
Haus (wo auch immer das sein soll), das eines Tages, wie erzählt wird,
von Außenminister Ribbentrop bewohnt werden soll. Der Winterbeginn 1944
war sehr schneereich, tage- und nächtelang fiel Schnee.
Auch Erich Franz Sommer bringt in seinem Buch "Geboren in Moskau"
seine Erinnerungen zu Papier. Die Aufgabe von E. F. Sommer bestand auch darin,
seinen Chef, den Gesandten Smend allmorgendlich mit dem Aserbaidschaner-Gespann
zur Dienststelle im Haus Lichtenberg abzuholen. In den Weihnachtstagen stieg
E. F. Sommer auf Skiern durch den idyllischen Melzergrund zum Kamm des Riesengebirges
und zur Schneekoppe hinauf. Seine Eindrücke schildert er wie folgend:
"Von der Prinz-Heinrich-Baude bot sich ein kaum verändert Blick in
das böhmische oder in das schlesische Tiefland, jene weit gefächerte,
den Frieden vortäuschende Landschaft, die Andreas Gryphius, Goethe und
Eichendorff nicht minder als Caspar David Friedrich begeistert hatte".
Ansonsten war die Stimmung im sechsten Kriegsjahr und Angesichts der immer näher
rückenden Front nicht besonders gut. Missie hat sich mit Krummhübel
ausgesöhnt. Endlich ist sie vor den Bombardements sicher und kann nachts
durchschlafen. Ihre Mutter hat sie besucht und ist von der Landschaft sehr begeistert.
Sie geht viel spazieren und fotografiert pausenlos.
Im Tagebuch findet sich ein weiterer Eintrag zu ihrer Mutter: "Gestern
ging sie zu den Kosaken (Aserbaidschanern), die mit ihren Pferden hier sind
und für den Transport des A.A. zuständig sind. Sie verschenkte Zigaretten
und die Kosaken sangen und tanzten und waren glücklich wieder Russisch
sprechen zu können. Die armen Kerle sitzen zwischen zwei Stühlen,
da sie gegen den Kommunismus votiert haben, aber von der Wehrmacht nie so recht
akzeptiert worden sind".
In ihrer Freizeit ist Missie viel unterwegs. Ohne Genehmigung ihrer Dienststelle
besucht sie Freunde und Bekannte in der näheren Umgebung.
Seit einiger Zeit ist das Telegrafennetz in ganz Deutschland zusammengebrochen.
Die Verständigung mit den verschiedenen Dienststellen wird immer schwieriger.
Dienstlich hat Missie ab und an in Berlin zu tun. Man fährt mit dem Bus
nach Berlin. Die Fahrt schildert sie so:
"Ein riesiges weißes, mit Holzkohle geheiztes Ungetüm erschien,
das von einem fröhlichen Österreicher gefahren wurde. Auf der Fahrt
musste öfter angehalten werden, damit der Fahrer den Ofen schüren
(Holzvergaser) konnte. In der Nähe von Berlin gab es dann Luftangriffe".
Die Lage wird auch in Krummhübel immer chaotischer. Es gibt kaum Kohle,
obwohl man in Schlesien, dem Land der Kohle ist. Wenn aber Kohle da ist, werden
die Büros zu Hochöfen. Die Beamten werden entweder gebraten oder müssen
frieren. Auch in den Unterkünften werden die Heizmittel knapp und die Zimmer
werden immer kälter.
Das A.A. hat einen Sondervorrat an Zigaretten erhalten, um damit Einheimische
zu bestechen, Lasten zu tragen, da kaum noch Transportmittel vorhanden sind.
Einmal wurde der Schrank von Missie aufgebrochen. Die Haushälterin hat
die Polizei unterrichtet. Abends kommt ein schnauzbärtiger Wachtmeister.
Er interessiert sich sehr für ihr Akkordeon, weniger um den Einbruch. Die
Fahndung blieb ohne Erfolg. Zuständig für solche Fälle, die Mitarbeiter
des AA betrafen, war wohl der bereits erwähnte Polizei-Meister Ehrenberg.
Auf Seite 129 des Tagebuchs dann ein positiver Eintrag zu Krummhübel:
"In mancher Beziehung hat Krummhübel ausgesprochen ländlichen
Charme. Heute morgen kaufte ich gerade Lebensmittel ein, als mir der Postbote
aus einer Seitenstraße zuwinkte; er hatte mich beim Bäcker gesehen,
dann aber vergeblich alle Gasthäuser nach mir abgesucht, da er einen eingeschriebenen
Brief für mich hatte. Rührend !"
Zurück zu Graf von der Schulenberg, dem Verehrer und Freund von Missie
und wohl bekanntesten Diplomaten in Krummhübel. Am Mittwoch, den 12. Juli
1944 kehrte er aus Salzburg zurück, wohin ihn Ribbentrop zitiert hatte.
Vorher war er im Führerhauptquartier zur Berichterstattung. Man wollte
seinen Rat. Es ging um einen Separatfrieden mit der Sowjet Union.
Es gab danach noch einige Treffen zwischen dem Grafen und Missie, ehe sie dann
im August in Richtung Berlin abreist.
Auch für Graf von der Schulenburg sind die Tage in Krummhübel gezählt.
E. F. Sommer trifft Schulenburg im August das letzte Mal. Er hat ihn und seinen
Freund, den Gesandten Smend in das Krummhübler Hotel mit dem verheißungsvollen
Namen "Goldener Frieden" eingeladen. Wie bereits in der BW vom April
berichtet, wurde er im Oktober als Verschwörer gegen Hitler erhängt.
Die Nichte von Schulenburg, Ursula Gräfin Schulenburg, eine freiberufliche
Bildhauerin, erhielt die Erlaubnis, die persönliche Habe des Botschafters
in Krummhübel abzuholen.
Über das Ende der Tätigkeit des AA in Krummhübel gab es anfangs
nur einen einzigen Eintrag in der mir zur Verfügung stehenden Literatur.
S. Weitkamp schreibt in seinem bereits in der Bergwacht erwähnten Buch
"Braune Diplomaten":
"Ende Januar 1945 wurde das AA aufgefordert, die Quartiere in Krummhübel
militärischen Einheiten und Flüchtlingen zu überlassen. Inland
II. wurde evakuiert, wahrscheinlich in die Umgebung von Salzburg".
Er hatte aber nur sehr oberflächlich recherchiert, denn ein Anruf beim
Auswärtigen Amt in Berlin brachte Gewissheit. Ca. 300 Mitarbeiter des AA,
samt Akten, wurden im Februar aus ihrem Ausweichquartier in Krummhübel
nach Mühlhausen, in Thüringen evakuiert.
Nach Akteneinsicht ergab sich dann folgender Sachverhalt:
Am 24. Januar 1945 wird das AA aufgefordert die Ausweichquartiere Krummhübel
und Brückenberg zu räumen und Platz für Flüchtlinge und
Militär zu beschaffen. Das AA kommt dieser Aufforderung nach. Es wird angeordnet:
1. Vernichtung des nicht mehr benötigten Aktenmaterials
2. Geräte werden abgeholt, nur wichtige Sachen. Entscheidung trifft Leg.
Rat Bauer.
3. Schreibmaschinen und wichtige Büromaterialien sind zu verpacken.
4. Die für den Volkssturm benötigten Männer und die Nachrichtenhelferinnen
bleiben hier.
6. Vordringlich ist der Abtransport der Frauen mit Kindern und den weiblichen
Gefolgsmitgliedern, die nicht mehr in Krummhübel gebraucht werden.
Als Ausweichstelle wird Mühlhausen in Thüringen bestimmt.
Verantwortlich für den Abtransport von Menschen und Material war Transportleiter
Paul aus Krummhübel. Die Abreise erfolgte wohl nicht chaotisch und überstürzt,
aber unter großen Schwierigkeiten, da es an Transportmittel und Kraftstoff
mangelte.
Allein in der Legationskasse Hirschberg, Adolf-Hitler-Str. 18, lagerten am 30.
Januar 1945 noch 75 Kisten bzw. Säcke mit Kassenbüchern und Belegen,
3 Rechenmaschinen, 1 Druckmaschine, 50 Koffer und 25 Kartons.
Bereits am 19. Februar 1945 befindet sich die Legationskasse wieder funktionsfähig
im Amtsgericht in Mühlhausen. Am 12. Mai 1945 wurde die Mehrheit der Mitarbeiter
dort von den Amerikanern noch angetroffen. Die Amerikaner interessierten sich
in erster Linie nur um die Akten, die Mitarbeiter waren für sie weniger
interessant. Die Akten wurden abtransportiert und gingen in amerikanischen Besitz
über. Einige Beamte, besonders aber Familienangehörige verblieben
in Krummhübel und wurden, wie im Fall Sommer, dort verhaftet oder danach
mit der einheimischen Bevölkerung vertrieben.
General Wlassow:
Bei meinen Recherchen über das AA in Krummhübel und Umgebung wurden
die Kosaken / Aserbaidschaner sehr oft als Wlassow-Leute bezeichnet. Auch gab
es Meinungen, General Wlassow habe sich in Krummhübel aufgehalten. Das
ist so falsch. Wlassow könnte sich kurzzeitig zur Erholung im Ort aufgehalten
haben. Hfd. Willi Schöbel berichtete, das ein Freund ihn in Krummhübel
gesehen haben will. Schriftliche Beweise liegen nicht vor.
Aserbaidschaner gab es bereits vor Ankunft des AA im Riesengebirge. Hfd. Theo
Gerberich kann sich gut daran erinnern, das Aserbaidschaner im Kretscham von
Steinseiffen untergebracht waren, vielleicht auch im Gasthof von Alfred Kammel
im Unterdorf. Bei Kriegsende 1945 gab es im Heer ca. 700.000 sogenannte Hilfswillige,
zumeist aus den verschiedensten Gebieten der Sowjetunion. Sie wurden meist,
ähnlich wie die Aserbaidschaner, im rückwärtigen Dienst eingesetzt.
Da sie "ähnliche" deutsche Uniformen trugen wurden sie später
als Kriegsgefangene angesehen.
General Wlassow geriet 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er bot später
der Heeresleitung an, 5 bis 6 Millionen sowjetische Kriegsgefangene zu rekrutieren
und mit deren Hilfe die Sowjetunion vom Kommunismus zu befreien. Hitler, aber
besonders Himmler, waren strikt dagegen. Ihr Plan war es die SU mit deutschen
"Übermenschen" in die Knie zu zwingen und nicht etwa durch Angehörige
einer minderwertigen Rasse. Erst im November 1944 begann man in Württemberg
mit der Aufstellung der ROA-Russkaja Osvoboditel naja Armija (Russische Befreiungsarmee),unter
dem Oberbefehl von General Wlassow. Die anfängliche Stärke der Armee
betrug ca. 50.000 Soldaten. Nach Eingliederung des XV. Kosakenkavalleriekorps
unter Generalleutnant von Pannwitz wurde die Mannschaftsstärke in etwa
verdoppelt.
Während die Kosaken in Serbien noch mit der Partisanenbekämpfung beschäftigt
waren, erhielten Teile der Wlassow-Armee ihre Feuertaufe an der Oder. Als die
Rote Armee von Ungarn aus auf die Tschechoslowakei vorrückte wurden sie
in die Umgebung von Prag beordert. Ihr Weg führte durch die Sächsische
Schweiz, das Riesengebirge wurde nicht berührt.
Beim Prager Aufstand schloss sich ein Teil der Armee den Aufständischen
an und verhinderte somit die Niederschlagung des Aufstandes durch die SS.
Nach der Kapitulation wurden die Hilfswilligen und Wlassow-Soldaten, insofern
sie sich nicht schon in sowjetischer Gefangenschaft befanden, auf Druck von
Churchill an die Sowjetunion ausgeliefert. Lediglich Generalleutnant von Pannwitz
sollte in westlicher Gefangenschaft verbleiben. Er lehnte dieses Angebot ab
und teilte das Schicksal seiner Kosaken, er wurde in Moskau erschossen. Erwähnenswert
ist in diesem Zusammenhang, das, auf Druck von Großbritannien, russische
Emigranten, die lange vor Ausbruch des Krieges die SU verlassen hatten, dorthin
wieder ausgeliefert wurden. Auch das bis dahin neutrale Schweden machte keine
Ausnahme. Nur ein Land widerstand diesen britischen Forderungen, es war das
kleine Fürstentum Liechtenstein. Churchill begründete seine Auffassung
mit der Bündnispflicht gegenüber Stalin.
Tragik der Geschichte. Wenige Jahre später war es aus mit Treue und Bündnispflicht.
Im Kalten Krieg, wurden aus den ehemaligen Verbündeten, erbitterte Feinde.