Veröffentlicht in der "Schlesischen Bergwacht", August 2010.
Eingereicht von Herrn Karl-Heinz Drescher
von Karl-Heinz Drescher, Leipzig
Im Gegensatz zur 100 Jahrfeier in
der Stonsdorferei in Hirschberg-Cunnersdorf gab es zum diesjährigen Jubiläum
keine Jubelfeier. Der Firma Berentzen, die den Stonsdorfer unter dem Namen "Echt
Stonsdorfer" vertreibt, war das Ereignis nach meiner Kenntnis nicht mal
eine Erwähnung wert.
Unsere "Bergwächterin" Frau Christiane Giuliani hat ihren Unmut darüber
in der Juli-Ausgabe unserer Heimatzeitschrift bereits kundgetan und damit vielen
Heimatfreunden aus dem Herzen gesprochen.
Kaum eine andere Ortschaft aus dem Riesengebirge ist in der Welt so weit bekannt
geworden wie dieses idyllische Gebirgsdorf Stonsdorf.
Dafür hat jedoch nicht Rischmann, der "Prophet vom Prudelberge", der
während des 30-jährigen Krieges in den tiefen Felsenhöhlen des Prudelberges
hauste, auch nicht der in den entfernteren Bergeshöhen beheimatete Rübezahl
gesorgt, sondern der Wandergeselle Christian Gottlieb Koerner, der zur Zeit
Napoleons von Paris nach Stonsdorf kam. Als er dort im Jahre 1801 anfing, für
einen Wochenlohn von 1 Taler und drei Silbergroschen in der Brauerei zu arbeiten,
war es noch sehr einsam im Riesengebirge. Von den charakteristischen Bauden
auf den Höhen war noch ebenso wenig zu sehen, wie von den freundlichen Luftkurorten
an den Hängen des Gebirges, in denen sich die Sommerfrischler und Wintersportler
später so wohl fühlten.
Lediglich in Krummhübel, im Tal der Großen und Kleinen Lomnitz, wohnten naturverbundene
Kräutersammler und geheimnisvolle Arzneibereiter, die späteren Laboranten, die
zuerst die heilkräftige Wirkung und die belebende Würze der Kräuter und Moose,
Wurzeln, Beeren und Früchte der üppigen Gebirgsmatten in den Tälern und Schluchten
und auf den dürftigen Hochwiesen hoch droben auf dem Kamm erkannt hatten. Sie
sammelten alle die hunderterlei Vegetabilien der Wiesen und Matten, die Samen
und Früchte der Bäume des Waldes und was sie sonst für heilkräftig und würzhaft
genug hielten.
Der größte Teil dieser Sammlererzeugnisse gehörte der alten Apothekerei an und
wurde in mächtigen Ballen nach den bedeutendsten Handelsplätzen der vorigen
Jahrhunderte ausgeführt. Was nicht in die Apotheke wanderte, fand als Hausmittel
zahlreiche Verwendung. Neben den Sammeln und Versenden dieser Produkte verstanden
es die Laboranten auch meisterhaft daraus allerlei erquickliche Tränklein und
Tröpflein für ihren eigenen Bedarf zu brauen und zu kochen.
Die Rezepte zu diesen geheimnisvollen Arzneimitteln, als die sie damals ausschließlich
galten, wurden aufs allerstrengste geheim gehalten und sorgsam in manchmal recht
wunderlich abgefassten Rezeptbüchern vom Vater auf den Sohn vererbt.
Ein solches Rezeptbuch, eigentlich sorgsam gehütet, kam auf unbekannte Weise
in den Besitz von Christian Gottlieb Koerner.
1810 pachtete er die der Herrschaft Reuß gehörende Brauerei in Stonsdorf und
am 06. Juni desselben Jahres die daneben liegende Brennerei und Branntweinschenke.
Koerner hatte seine Zeit verstanden. Im Besitze, des alten trefflichen Laboranten-Rezeptes,
erkannte er als praktischer Brenner bald, dass sich durch bessere Digeriermethoden
der Extraktgehalt der zu dem Bitteren verwendeten Grundstoffe viel mehr herausholen
und durch einen verfeinerten Destillationsprozeß der Geschmack und das Aroma
wesentlich erhöhen ließe.
Während seines Pariser Aufenthalte hatte er Gelegenheit die damals besten Destillationsmethoden
der feinsten Pariser Liköre zu kennen und zu lernen.
Er wendete diese Methoden auf sein Laboranten-Rezept und die würzigen und heilkräftigen
Riesengebirgskräuter an. Aus dem einstigen Krummhübler-Laboranten-Tränklein
wurde nun jener kostbare Stoff erzeugt, der unter den Namen "Koerners echt
Stonsdorfer Bitter" und heute als "Echt Stonsdorfer", weit über
die Grenzen Stonsdorfs hinaus bekannt ist.
Als man im Juli 1910 mit viel Pomp und unter zahlreicher Anteilnahme der Honoratioren
das 100jährige Jubelfest feierte, war das der Zeitschrift "Der Bote aus
dem Riesengebirge" in seiner Ausgabe Nr. 151, vom 1. Juli 1910, eine Doppelseite
wert. Die Erfolgsgeschichte des Stonsdorfers wurde in allen Einzelheiten wieder
gegeben und gewürdigt.
Zum Abdruck kam auch eine Festschrift, welche u.a. Hermann Hoppe, Heimatdichter
und Volksdramatiker aus Hirschberg, verfasste und zum Jubiläum überreichte.
Darin ging man auch der Frage nach, was zeichnet den Stonsdorfer gegenüber ähnlichen
Erzeugnissen aus. Hier die Antwort:
"Was ist nun eigentlich der Stonsdorfer?
Er ist etwas Einziges. Man kann ihn nicht den eigentlichen Bittern zuzählen,
die den Magen umdrehen und Mund und Zunge zusammenschrumpfen lassen. Er ist
weder ein gewöhnlicher Schnaps schlechthin, noch kann man ihn in den prätensiösen
Likören zurechnen, die sich oft recht unverdientermaßen mit bombastischen Namenbreit
machen. Und doch hat unser "Stonsdorfer" von jeden etwas: man könnte
ihn, meint die Festschrift mit gutem Rechte den Wein des Riesengebirges nennen.
Alles was das Riesengebirge an heilkräftigen und aromatischen lindernden und
anregenden Kräutern und Wurzeln, Beeren, Früchten und Moosen erzeugt, das bringt
uns der "Stonsdorfer" als vornehm-würzig schmeckendes Getränk von
angenehmem Duft und schöner Farbe in seiner Mischung entgegen".
Am Anfang hatte man in Krummhübel vielleicht noch über Koerner den Kopf geschüttelt,
aber schon wenige Jahre hatte sich der Stonsdorfer Heimatrecht erworben. Er
gehörte fortan zum Riesengebirge wie die Schneekoppe und die Schneegruben.
Mit dem Aufschwung des Fremdenverkehrs wuchs die Verbreitung des Stonsdorfers
noch weiter. Wanderer des Riesengebirges, die den Stonsdorfer in den Bauden
getrunken hatten, wollten ihn auch in ihrem Heimatort nicht mehr vermissen.
Er wurde zu ihrem ständigen Begleiter.
Doch: "Nicht zu viel!" sei jedem Wanderer zugerufen, denn der "Stonsdorfer"
ist ein feines Getränk und er darf nur mit Maß und nicht mit Maßen genossen
werden. Die unzähligen, in die edlen Tropfen gebrannten Geister rächen sich
furchtbar, und:
….nach der gehabten Stärkung
kommt ´ne unverhoffte Wärkung".
So gut er schmeckt und so heilsam er ist…..ein Kater von "Stonsdorfer"
soll fürchterlich sein!
Literatur:
Hermann Ulbrich-Hannibal, "Schlesische. Bergwacht" 1955 und
Zeitschrift "Der Bote aus dem Riesengebirge" in seiner Ausgabe Nr.151,
vom 01. Juli 1910