Fragesteller:
"Auf der Schneekoppe gab es einen sehr lebhaften Postverkehr. Können Sie
dazu etwas sagen"?
H. Pohl:
"Es fing alles sehr klein an, nämlich mit einem Postkasten. Doch bereits
am 01. Juni 1872 wurde eine Postagentur eröffnet, der über Jahrzehnte Johann
Kirchschläger vorstand. Er verwaltete auch die österreichische Postagentur in
der Böhmischen Baude, welche täglich ihre Post von Petzer erhielt. Nach dem
Ableben von Kirchschläger im Jahre 1919 wurde der Dienst der Postagentur in
der Deutschen Baude durch die von uns verpflichteten sogenannten Postfräuleins
versehen. Auf schlesischer Seite gehörten wir anfangs zum Postamt Arnsdorf,
später zur Agentur und Postamt Krummhübel und in den letzten Jahren dann zum
neuerstandenen Postamt Brückenberg. Erster Koppenbriefträger war der legendäre,
spätere Gebirgsbriefträger Robert Fleiß aus Krummhübel. Mit der Entstehung der
Ansichtspostkarte nahm das Gewicht der ins Tal mitzunehmenden Postsachen ständig
zu. Bis zu 80 Pfund mussten täglich bewältigt werden. Die ersten Ansichtskarten
von der Schneekoppe stellte mein Großvater durch einen Aufdruck mit einem Gummistempel,
der den Gipfel zeigte, selbst her.
Nach Einführung der Telegraphie mit Morsebetrieb erhielten wir 1911 einen Fernsprechanschluss.
Großer Pflege bedurften dabei die Drahtleitungen, die den Wetterunbilden ausgesetzt
waren. Am sichersten lagen sie im Winter im tiefen Schnee. 1923 / 1924 wurden
dann Kabel verlegt. Waren wir Gebirgler dank Telegraphie und Fernsprecher dem
fernen Weltgetriebe schon lange nicht mehr so fern, so änderte sich dieser Zustand
schlagartig mit dem Rundfunk. Anfangs gab es oft erhebliche atmosphärische Störungen,
dafür aber einen guten Empfang von weit entfernten Sendern. Neben dem Empfang
der Nachrichten konnten wir jetzt auch Radiomusik zur Unterhaltung der Gäste
einsetzen".
Fragesteller:
"Welche entfernt liegenden Orte und Gebirge konnten Sie von der Koppe gut
sehen und umgekehrt, aus welcher Entfernung war sie zu erkennen?"
H. Pohl:
"Bei klarer Sicht und gutem Glas konnte man den Turm der Elisabethkirche
in Breslau, die Pfarrkirche in Schweidnitz und die Türme von Liegnitz erkennen.
Von Prag konnte man den Hradschin und den Weissenberg sehen. Von den Bergen
sah man neben dem Zobten, die Hohe Eule, den Glatzer Schneeberg, die Hohe Mense
und den Altvater. In Richtung Westen waren der Gröditzberg, die Landeskrone
bei Görlitz, die Zittauer Berge, der Jeschken bei Reichenbach, der Milleschauer
und die gegend von Zinnwald im Sächsischen Erzgebirge sichtbar. Umgekehrt war
die Schneekoppe vom Fichtelberg im Erzgebirge, dem Lusengipfel im Bayrischen
Wald, vom Dreisesselberg im Stifterlande bei Passau, das waren hier 250 km und
aus Schlesien war sie weit vom Oderstrand und von den Grünberger Weinbergen,
immerhin auch 120 km, zu erkennen".
Fragesteller:
"Wie war das Leben nun im Winter und in der Nebensaison"?
H. Pohl:
"Während der Weihnachtszeit und zu Sylvester fanden sich regelmäßig Gäste
ein, die fern aller Erdenschwere und allen Trubels, die festlichen Tage bei
uns verbringen wollten. Sie schlossen sich gern unterm Lichterbaum unserer Familienfeier
und der Feierstunde, die wir unserem Personal bereiteten, an. Am Sylvester herrschte
neben den ernsten Gedanken, die mit dem Jahreswechsel einhergehen, wie auch
in allen anderen Gebirgsbauden, eine freudige, hoffnungsvolle Stimmung.
In dieser Zeit wurden auch aufwendige Büroarbeiten, wofür die Finanzämter und
sonstige Behörden sorgten, erledigt. Auch persönliche Besuche in den Geschäftszimmern
des Amtsbezirkes Arnsdorf und des Landkreises Hirschberg standen auf schlesischer
Seite an. Auf böhmischem Gebiet war es nicht viel anders. In Petzer und Trautenau
waren viele Behördengänge notwendig. Hinzu kamen Besuche und Besprechungen mit
den Berufsgenossen im Gebirge. Langeweile kam eigentlich nie auf. Es war auch
die Zeit wo man Muse hatte sich mit Wetter- und Naturbeobachtungen zu beschäftigen.
Besonders in Zeiten tiefstehender Sonne war die wechselnde Beleuchtung der Landschaft
interessant. Die Sonnenuntergänge, wenn auch hundertmal gesehen, brachten in
ihrer Mannigfaltigkeit stets neues Erleben. Besonders überwältigend war in hellen
Nächten der unbeschreibliche Anblick des Sternenhimmels, aber auch der abendliche
Blick ins Tal mit den tausenden Lichtpunkten in den Ortschaften."
Fragesteller:
"Sie, Herr Pohl, und ihr Stammpersonal der beiden Bauden waren ja nicht
die einzigen Bewohner auf der Koppe, es gab da noch das Observatorium. Wie sah
es da mit der Nachbarschaft aus"?
H. Pohl:
"Neben der Kapelle und unseren beiden Bauden kam als vierte Baulichkeit
1900 das Preußische Observatorium hinzu. Der imposante Turmbau war während des
ganzen Jahres bewohnt. Man war, ebenso wie unsere Bauden, für alle Lebensbedürfnisse
von Trägern abhängig. Das Observatorium benutzte auch unser Depot am Koppenplan.
Mit dem Observator Ludwig Schwarz und seiner Familie bestand ein sehr freundschaftliches
Verhältnis. Einige ihrer Kinder wurden hier oben geboren. Schwarz war von 1900
bis 1933 hier im Dienst. Sein Nachfolger war Dr. Heinrich Renier, er blieb wie
seine Nachfolger, nur ein Jahr hier oben. Letzter Meteorologe war Kurt Glaß,
der am 14.10.1943 seinen Dienst als Angehöriger der Wehrmacht antrat. 1945 wurde
das Observatorium zunächst von der Roten Armee besetzt und später von den Polen
übernommen."
Fragesteller:
"Gab es in Ihrer Abgeschiedenheit Tiere"?
H. Pohl:
"Auf dem Koppenkegel gab es nur Wasserpieper, Alpenflüvögel, Turmfalken
und Bussarde zu beobachten. Hasen und Rehwild kamen nur bis zum Kamm. Auch gab
es in dieser Höhe Füchse und Mauswiesel. Besonders zur Brunftzeit kam Rotwild
hin und wieder bis zum Kamm. Doch hörte man in den Herbstnächten oft in den
umliegenden Gründen bis zu 20 Hirsche röhren. Ein wunderbares Erlebnis. Im Frühjahr
und Herbst zogen Schwärme von Zugvögeln über das Gebirge. Einst wurde ein Polartaucherpaar
geschossen."
Fragesteller:
"Von der Koppe aus haben Sie sicher in Friedens- und Kriegszeiten manches
Luftfahrzeug gesehen und bei Ihrer weiten Sicht gut beobachten können?"
H. Pohl:
"Freiballons, Luftschiffe, Motor- und Segelflugzeuge konnten gut beobachtet
werden. Die Koppe wurde oft als Ziel angeflogen, doch kam auf dem Gipfel mit
seinen Baulichkeiten und seiner unebenen, steinigen Fläche eine Landung nicht
in Betracht. Die Liegnitzer Zeppeline zogen öfter in stolzem Fluge über das
Gebirge und flogen bis tief in den Sudetengau, über Trautenau warfen sie einst
eine schwarzweißrote Fahne ab. An einem sonnigen Tage geriet ein zylinderförmiger
Zeppelin, älterer Bauart, in ein Luftloch, in eine vertikal aufsteigende kalte
Luftströmung und sackte durch. Das Luftschiff fiel so schnell, dass die ausgelöste
Wasserhose die Hülle traf und auch eine Motorgondel durchnässte, wie uns später
Luftschiffer erzählten. Den Stuka-Flugzeugen war die Schneekoppe ein gutes Übungsziel.
Kaum hatten sie den Sturz abgefangen, stiegen sie im Steilflug wieder in die
Höhe, um den Sturzflug zu wiederholen. Mit großem Getöse fanden sie sich über
dem Riesengrund wieder. Die vom Hirschberger Flugplatz startenden Rundflüge,
längst des Gebirges waren eine tägliche Erscheinung. Auch Segler waren anzutreffen.
Am 21. Und 22. Juli 1928 startete Segelflieger Andresen aus Hirschberg erstmalig
mit seinem Segelflugzeug von der Koppe und landete sicher in Wolfshau.
Segelflugzeuge vom Flughafen Grunau, die unter Ausnutzung des guten Auftriebes
durch die Motzagotel, jener dem Hirschberger Tal eigentümlichen zeppelinförmigen
Wolkenbildungen, schnell in große Höhen gelangten, überflogen die Koppe und
segelten in Kehren oft stundenlang über dem Kamm. Zu Beginn des Polenfeldzuges
im Herbst 1939 konnten wir den Aufmarsch der Luftwaffe mit den großen Transportflugzeugen
beobachten. In den Jahren 1944/45 überflogen uns fast täglich, manchmal auch
mehrmals, feindliche Luftgeschwader. Von einer Bombardierung blieben wir glücklicherweise
verschont."
Fragesteller:
"Wie gestaltete sich der Betrieb in den beiden Bauden im Verlauf und am
Ende des Krieges?"
H. Pohl:
"Der Krieg machte sich auch bei uns immer mehr bemerkbar. Die Träger waren
fast alle zur Wehrmacht eingezogen, ebenso waren die Pferde beschlagnahmt. Es
gab nicht mehr genügend Kohlen und die Lebensmittelversorgung verschlechterte
sich zusehends. Da auch der Fremdenverkehr nachließ wurde die Deutsche Baude
geschlossen. Einzig die Böhmische Baude war bis Kriegsende geöffnet. Von März
1943 an gab es an der Böhmischen Baude Um- und Anbauten. Die Deutsche Reichspost
errichte eine Sende- und Empfangsanlage für den drahtlosen Funk, die dann von
der Wehrmacht übernommen wurde. Anfang 1945 wurde die Deutsche Baude vom Luftgaukommando
Breslau belegt.
Nach der Kapitulation übernahmen die Tschechen sofort die Böhmische Baude und
führten den Wirtschaftsbetrieb ohne Unterbrechungen weiter. Ich möchte hier
an dieser Stelle auch betonen, dass ich mit den Tschechen und ihren Behörden
in all den Jahren ein gutes Verhältnis hatte. Zur gleichen Zeit mussten wir
unsere Bauden, die drei Generationen in Familienbesitz waren, schweren Herzens
aufgeben. Wir bezogen unser Haus in Krummhübel, wo wir am 01. Juli 1947 vertrieben
wurden. Nach unserem Verlassen wurde die Deutsche Baude gründlich geplündert,
die restliche Einrichtung zerstört und die Fenster zertrümmert. Da nun keine
Bewirtschaftung mehr stattfand und die Baude auf Grund der Zerstörung der rauen
Witterung ausgesetzt war, machte sich der Verfall immer mehr bemerkbar.
Wir selbst kamen nach unserem Umzug nach Krummhübel nicht mehr auf die Schneekoppe,
da das Betreten des Gebirges nur noch mit Sondergenehmigung möglich war. Während
auf der polnischen Seite der Wanderbetrieb völlig eingestellt wurde, ging der
Fremdenverkehr auf tschechischem Gebiet ungehindert weiter".
Fragesteller:
"Zum Schluss möchte ich Ihnen noch etwas Interessantes mitteilen, das ich
kürzlich in Carl Hauptmanns Rübezahlbuch gefunden habe. Er beschreibt dort,
wie der Musikstudent Gustav Reichardt mit drei Freunden die Schneekoppe besucht
und in der St. Laurentiuskapelle das Gedicht "Was ist des Deutschen Vaterland"
von Ernst Moritz Arndt vertont. Das Lied erklang bald vierstimmig in der Kapelle.
Nach 50 Jahren, 1875, wurde das inzwischen sehr bekannt gewordene Lied von vielen
Sängern wieder auf der Koppe gesungen und dem nunmehr 78 jährigen Komponisten
in Berlin ein Glückwunsch übermittelt".
H. Pohl:
"Ja, das stimmt. Mein Ur-Großvater, der damals kurz vorher die Schneekoppenbaude
übernommen hatte, erhielt von Gustav Reichardt ein liebenswürdiges Schreiben,
in dem er herzlich dankte und erwähnt, wie seine Töne die Begeisterung für das
Vaterland Ausdruck geben sollten. Am 13. November 1897, am hundertsten Geburtstag
von Gustav Reichardt, wurde in der Laurentiuskapelle eine Gedenktafel für die
Vertonung dieses Liedes angebracht. Die Schlussworte des Liedes sollten uns
Heutigen immer im Gedächtnis bleiben.
Das ganze Deutschland soll es sein! O Gott vom Himmel, sieh darein! Und gib uns rechten deutschen Mut dass wir es lieben treu und gut! Das soll es sein! Das soll es sein! Das ganze Deutschland soll es sein! |
Das Interview entstand in Erfurt
1955 .
Erschienen: "Schlesische Rundschau", Wangen 1956
Anmerkungen:
* Gaurisanker (früher irrtümliche Bezirk für
den Mount Everest, der Verfasser
** Aconcagua (höchster Berg Südamerikas)
Fotos: Aus der Postkartensammlung von Karl-Heinz Drescher